Hatem
Nicht Gelegenheit macht Diebe,
Sie ist selbst der größte Dieb;
Denn sie stahl den Rest der Liebe,
Die mir noch im Herzen blieb.
Dir hat sie ihn übergeben,
Meines Lebens Vollgewinn,
Daß ich nun, verarmt, mein Leben
Nur von dir gewärtig bin.
Doch ich fühle schon Erbarmen
Im Karfunkel deines Blicks
Und erfreu in deinen Armen
Mich erneuerten Geschicks.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Hatem“ von Johann Wolfgang von Goethe thematisiert die Zerstörung der Liebe und die Hoffnung auf einen Neubeginn. Es ist in zwei Strophen gegliedert, die die Trennung von der verlorenen Liebe und die Sehnsucht nach einer neuen Verbundenheit widerspiegeln. Der Titel „Hatem“ deutet auf eine Figur aus der orientalischen Dichtung hin, was dem Gedicht eine gewisse romantische und exotische Note verleiht.
In der ersten Strophe wird die „Gelegenheit“ als eigentlicher Dieb der Liebe dargestellt, stärker noch als der klassische Dieb. Sie raubt dem Sprecher den letzten Rest der Zuneigung, der ihm noch im Herzen geblieben war. Dies deutet darauf hin, dass die Trennung nicht durch einen einzelnen Fehler oder eine bewusste Entscheidung, sondern durch äußere Umstände oder eine sich entwickelnde Dynamik zwischen den Liebenden erfolgte. Die Verwendung des Wortes „Dieb“ verleiht der verlorenen Liebe eine physische Qualität und unterstreicht den Verlust, den der Sprecher erleidet.
Die zweite Strophe richtet sich direkt an die geliebte Person, der die Liebe „übergeben“ wurde. Die Folge des Verlustes ist die Verarmung des Sprechers, der nun von der Zuneigung der geliebten Person abhängig ist. Diese Abhängigkeit wird durch das Wort „gewärtig“ (erwartend) verstärkt. Trotz der Verarmung und Abhängigkeit scheint Hoffnung aufzukommen. Die leuchtenden Augen (Karfunkel) der Geliebten erwecken ein Gefühl des Erbarmens und bieten dem Sprecher die Möglichkeit, in ihren Armen ein „erneuertes Geschick“ zu erfahren. Dies deutet auf eine mögliche Versöhnung und einen Neuanfang hin.
Goethes Gedicht zeichnet sich durch seine einfache, aber eindringliche Sprache und die klare Struktur aus. Die Metapher des Diebstahls verleiht dem Verlust der Liebe eine greifbare Qualität, während das „Karfunkel“ der Augen der Geliebten Hoffnung und Neubeginn verspricht. Das Gedicht ist ein Ausdruck menschlicher Emotionen, die von Verlust, Abhängigkeit und der Sehnsucht nach Liebe geprägt sind und somit zeitlos gültig sind. Es ist ein kurzes, prägnantes Gedicht, das die gesamte Bandbreite der Gefühle erfasst, die mit Trennung und Neubeginn einhergehen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.