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Grabschrift Marianae Gryphiae

Von

Brudern Pauli Töchterlein

Geboren in der Flucht, umringt mit Schwert und Brand,
Schier in dem Rauch erstickt, der Mutter herbes Pfand,
Des Vatern höchste Furcht, die an das Licht gedrungen,
Als die ergrimmte Glut mein Vaterland verschlungen.
Ich habe diese Welt beschaut und bald gesegnet:
Weil mir auf einen Tag all′ Angst der Welt begegnet.
Wo ihr die Tage zählt; so bin ich jung verschwunden,
sehr alt; wofern ihr schätzt, was ich für Angst empfunden!

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Gedicht: Grabschrift Marianae Gryphiae von Andreas Gryphius

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Grabschrift Marianae Gryphiae“ von Andreas Gryphius ist ein ergreifendes Zeugnis von Leid, Vergänglichkeit und frühem Tod. Es wird aus der Perspektive eines jungen Mädchens, Mariana, verfasst, die als „Brudern Pauli Töchterlein“ identifiziert wird. Das Gedicht ist in einem klaren, wenn auch pathetischen Stil geschrieben, der für die Barockzeit typisch ist und die tiefgreifenden Erfahrungen und Ängste des Kindes widerspiegelt.

Die ersten vier Zeilen zeichnen ein Bild von Krieg und Zerstörung, von Geburt inmitten von „Schwert und Brand“. Mariana wird als Produkt einer Zeit des Chaos und der Flucht dargestellt, in der ihr Leben von Anfang an von Gefahr geprägt war. Die Zeile „Schier in dem Rauch erstickt, der Mutter herbes Pfand“ deutet auf die unmittelbare Bedrohung durch den Krieg hin und evoziert ein Gefühl der Enge und des Grauens. Die Mutter und der Vater, als zentrale Bezugspersonen, repräsentieren die familiäre Tragödie und die allgemeine Not der Zeit. Der Ausdruck „Des Vatern höchste Furcht“ verweist auf die existentielle Sorge um das Überleben des Kindes.

Der zweite Teil des Gedichts (Zeilen 5-8) nimmt eine philosophischere Note an. Mariana, das Kind, beschreibt, wie sie die Welt gesehen und sie bald gesegnet hat. Dies deutet auf eine tiefe Weisheit und Akzeptanz des Schicksals hin, die für ihr junges Alter außergewöhnlich ist. Die Zeile „Weil mir auf einen Tag all′ Angst der Welt begegnet“ fasst die Kurzlebigkeit und die Intensität ihres Lebens zusammen. Sie hat in ihrem kurzen Leben alles an Angst erlebt, was die Welt zu bieten hatte.

Das Gedicht endet mit einem Paradoxon: „Wo ihr die Tage zählt; so bin ich jung verschwunden, / sehr alt; wofern ihr schätzt, was ich für Angst empfunden!“ Hier wird die menschliche Zeitmessung mit dem Maßstab des erlebten Leids verglichen. Mariana mag jung gestorben sein, aber die Intensität ihrer Ängste und Erfahrungen verleihen ihr eine Altersweisheit. Das Gedicht ist somit nicht nur eine Grabschrift, sondern auch eine Reflexion über die Auswirkungen von Krieg und Leid auf unschuldige Leben sowie über die subjektive Erfahrung von Zeit und Schmerz. Es ist ein eindringliches Denkmal für die Unschuldigen, die Opfer des Krieges wurden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.