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Gewohnt, getan

Von

Ich habe geliebet, nun lieb ich erst recht!
Erst war ich der Diener, nun bin ich der Knecht.
Erst war ich der Diener von allen;
Nun fesselt mich diese scharmante Person,
Sie tut mir auch alles zur Liebe, zum Lohn,
Sie kann nur allein mir gefallen.

Ich habe geglaubet, nun glaub ich erst recht!
Und geht es auch wunderlich, geht es auch schlecht,
Ich bleibe beim gläubigen Orden:
So düster es oft und so dunkel es war
In drängenden Nöten, in naher Gefahr,
Auf einmal ist′s lichter geworden.

Ich habe gespeiset, nun speis ich erst gut!
Bei heiterem Sinne, mit fröhlichem Blut
Ist alles an Tafel vergessen.
Die Jugend verschlingt nur, dann sauset sie fort;
Ich liebe zu tafeln am lustigen Ort,
Ich kost und ich schmecke beim Essen.

Ich habe getrunken, nun trink ich erst gern!
Der Wein, er erhöht uns, er macht uns zum Herrn
Und löset die sklavischen Zungen.
Ja, schonet nur nicht das erquickende Naß:
Denn schwindet der älteste Wein aus dem Faß,
So altern dagegen die jungen.

Ich habe getanzt und dem Tanze gelobt,
Und wird auch kein Schleifer, kein Walzer getobt,
So drehn wir ein sittiges Tänzchen.
Und wer sich der Blumen recht viele verflicht
Und hält auch die ein und die andere nicht,
Ihm bleibet ein munteres Kränzchen.

Drum frisch nur aufs neue! Bedenke dich nicht:
Denn wer sich die Rosen, die blühenden, bricht,
Den kitzeln fürwahr nur die Dornen.
So heute wie gestern, es flimmert der Stern;
Nur halte von hängenden Köpfen dich fern
Und lebe dir immer von vornen.

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Gedicht: Gewohnt, getan von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gewohnt, getan“ von Johann Wolfgang von Goethe feiert das gelebte Leben und die gesteigerte Freude, die aus Erfahrung und Gewohnheit erwachsen. Es ist eine Hymne auf die Entwicklung des Individuums, das durch wiederholte Erfahrungen eine tiefere Wertschätzung und intensivere Erlebnisse erfährt. Das Gedicht strukturiert sich in fünf Strophen, jede beginnend mit der Feststellung „Ich habe…“, gefolgt von einer gesteigerten Aussage „nun…erst recht!“. Dies verdeutlicht den Fortschritt vom bloßen Tun zum bewussten Genießen.

Die erste Strophe widmet sich der Liebe. Der Dichter, einst Diener, wird nun zum Knecht, was auf eine tiefere Hingabe und Verehrung an die geliebte Person hindeutet. Die anfängliche Distanz und der Zwang weichen einer freiwilligen Unterwerfung, die auf gegenseitiger Zuneigung basiert. Die zweite Strophe behandelt den Glauben. Auch hier wird die anfängliche Erfahrung durch eine tiefere, beständigere Überzeugung ersetzt. Trotz Widrigkeiten und Dunkelheit, die das Leben mit sich bringt, bleibt der Sprecher standhaft und erfährt letztendlich Erleuchtung. Diese Entwicklung des Glaubens spiegelt die Reife und die Fähigkeit wider, in schwierigen Zeiten Halt zu finden.

Die verbleibenden Strophen behandeln die Themen Essen, Trinken und Tanzen. Das Essen wird zu einem bewussten Genuss, das Trinken zu einer Quelle der Erhebung und der Befreiung von Hemmungen. Das Tanzen, einst ein flüchtiges Vergnügen, wird zu einem Ausdruck der Lebensfreude und der Wertschätzung des Moments. Jede Strophe verstärkt die Idee, dass Gewohnheit und Erfahrung nicht zu Abstumpfung, sondern zu einem intensiveren Erleben führen. Die letzte Strophe bietet eine allgemeine Lebensweisheit, die dazu ermutigt, das Leben mutig zu gestalten und sich von negativen Einflüssen fernzuhalten.

Goethe nutzt eine einfache, leicht verständliche Sprache und eine eingängige Reimstruktur, um seine Botschaft zu vermitteln. Die Wiederholung des Anfangsverses in jeder Strophe und die klare Gegenüberstellung von „Ich habe…“ und „nun…erst recht!“ verstärken die zentrale Idee des Gedichts. Es ist ein Plädoyer für das Leben, für die Freude am Genuss und für die Kraft der Erfahrung, die es uns ermöglicht, die Welt und uns selbst tiefer zu verstehen. Die Metaphern von Wein, Rosen und Tanz unterstreichen die sinnliche Qualität des Lebens und die Wichtigkeit, jede Erfahrung voll auszukosten.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.