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Gegen Morgen

Von

Tag will herauf. Nacht wehrt nicht mehr dem Licht.

O Morgenwinde, die den Geist in ungestüme Meere treiben!

Schon brechen Vorstadtbahnen fauchend in den Garten

Der Frühe. Bald sind Straßen, Brücken wieder von Gewühl und Lärmversperrt –

O jetzt ins Stille flüchten! Eng im Zug der Weiber, der sich übern Treppengang zur Messezerrt,

In Kirchenwinkel knien! O, alles von sich tun, und nur in Demut auf das Wunder der Verheißungwarten!

O Nacht der Kathedralen! Inbrunst eingelernter Kinderworte!

Gestammel unverstandner Litanein, indes die Seelen in die Sanftmut alter Heiligenbilderschauen . .

O Engelsgruß der Gnade . . ungenannt im Chor der Gläubigen stehn und harren,daß die Pforte

Aufspringe, und ein Schein uns kröne wie vom Haar von unsrer lieben Frauen.

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Gedicht: Gegen Morgen von Ernst Stadler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gegen Morgen“ von Ernst Stadler beschreibt die Erfahrung eines Übergangs von der Nacht zum Tag und die damit verbundenen inneren und äußeren Veränderungen. Es ist ein Bekenntnis zur Sehnsucht nach Ruhe und spiritueller Einkehr inmitten der aufbrechenden Geschäftigkeit des Morgens. Der Dichter wendet sich an die Morgenwinde und bittet sie, ihn nicht in die aufwühlenden „ungestümen Meere“ des Geistes zu treiben, sondern ihm zu ermöglichen, in die Stille einzutauchen.

Die Bilder des Gedichts sind reich an Kontrasten. Auf der einen Seite stehen die „Vorstadtbahnen“, „Straßen“ und „Brücken“, die mit „Gewühl und Lärm“ das Erwachen des städtischen Lebens symbolisieren. Auf der anderen Seite steht die Sehnsucht nach Rückzug und Kontemplation. Der Dichter sucht Zuflucht in der „Stille“ und wünscht sich, „alles von sich zu tun“ und in „Demut auf das Wunder der Verheißung zu warten“. Diese Sehnsucht wird in den Bildern der Kirche, der betenden Frauen und der „Kathedralen“ konkretisiert, die einen Ort der Ruhe und des Gebets darstellen.

Das Gedicht ist ein Ausdruck tiefster religiöser Sehnsucht. Stadler wünscht sich die Geborgenheit des Glaubens, die im Gesang der Kinder und dem „Gestammel unverstandner Litanein“ zum Ausdruck kommt. Die „Sanftmut alter Heiligenbilder“ und der „Engelsgruß der Gnade“ werden als Ankerpunkte für die Seele gesehen, die sich nach Vergebung und Erlösung sehnt. Der Wunsch, im Chor der Gläubigen zu stehen und auf die „Pforte“ zu warten, die sich öffnet, deutet auf eine Sehnsucht nach dem Eintauchen in das Mysterium des Glaubens und die Erleuchtung durch einen göttlichen Schein.

Die Sprache des Gedichts ist geprägt von einer expressiven Bildhaftigkeit. Wiederholungen wie das „O“ am Anfang vieler Zeilen verstärken die Intensität der Gefühle und die Eindringlichkeit der Sehnsucht. Die gewählten Begriffe wie „ungestüme Meere“, „Gewühl und Lärm“, „Demut“ und „Wunder der Verheißung“ verleihen der Dichtung eine tiefe emotionale und spirituelle Dimension. Die Verwendung von rhetorischen Fragen und Ausrufen verstärkt den Appellcharakter des Gedichts und macht die innere Zerrissenheit des Dichters zwischen dem Leben in der Welt und der Sehnsucht nach Ruhe und Gott greifbar.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.