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Gartenspuk

Von

Daheim noch war es; spät am Nachmittag.
Im Steinhof unterm Laub des Eschenbaums
Ging schon der Zank der Sperlinge zur Ruh;
Ich, an der Hoftür, stand und lauschte noch,
Wie Laut um Laut sich mühte und entschlief.
Der Tag war aus; schon vom Levkojenbeet
Im Garten drüben kam der Abendduft;
Die Schatten fielen; bläulich im Gebüsch
Wie Nebel schwamm es. Träumend blieb ich stehn,
Gedankenlos, und sah den Steig hinab;
Und wieder sah ich – und ich irrte nicht –
Tief unten, wo im Grund der Birnbaum steht,
Langsam ein Kind im hohen Grase gehen;
Ein Knabe schien′s, im grauen Kittelchen.
Ich kannt es wohl, denn schon zum öftern Mal
Sah dort im Dämmer ich so holdes Bild;
Die Abendstille schien es herzubringen,
Doch näher tretend fand man es nicht mehr.
Nun ging es wieder, stand und ging umher,
Als freu es sich der Garteneinsamkeit. –
Ich aber, diesmal zu beschleichen es,
Ging leise durch den Hof und seitwärts dann
Im Schatten des Holunderzauns entlang,
Sorgsam die Schritte messend; einmal nur
Nach einer Erdbeerranke bückt ich mich,
Die durch den Weg hinausgelaufen war.
Schon schlüpft ich bei der Geißblattlaube durch;
Ein Schritt noch ums Gebüsch, so war ich dort,
Und mit den Händen mußt ich′s greifen können.
Umsonst! – Als ich den letzten Schritt getan,
Da war es wieder wie hinweggetäuscht.
Still stand das Gras, und durch den grünen Raum
Flog surrend nur ein Abendschmetterling;
Auch an den Linden, an den Fliederbüschen,
Die ringsum standen, regte sich kein Blatt.
Nachsinnend schritt ich auf dem Rasen hin
Und suchte töricht nach der Füßchen Spur
Und nach den Halmen, die ihr Tritt geknickt;
Dann endlich trat ich aus der Gartentür,
Um draußen auf dem Deich den schwülen Tag
Mit einem Gang im Abendwind zu schließen.
Doch als ich schon die Pforte zugedrückt,
Den Schlüssel abzog, fiel ein Sonnenriß,
Der in der Planke war, ins Auge mir;
Und fast unachtsam lugte ich hindurch.
Dort lag der Rasen, tief im Schatten schon
Und sieh! Da war es wieder, unweit ging′s,
Grasrispen hatt es in die Hand gepflückt;
Ich sah es deutlich … In sein blaß Gesichtchen
Fiel schlicht das Haar; die Augen sah man nicht,
Sie blickten erdwärts, gern, so schien′s, betrachtend,
Was dort geschah; doch lächelte der Mund.
Und nun an einem Eichlein kniet′ es hin,
Das spannenhoch kaum aus dem Grase sah
– Vom Walde hatt ich jüngst es heimgebracht -,
Und legte sacht ein welkes Blatt beiseit
Und strich liebkosend mit der Hand daran.
Darauf – kaum nur vermocht ich′s zu erkennen;
Denn Abend ward es, doch ich sah′s genau –
Ein Käfer klomm den zarten Stamm hinauf,
Bis endlich er das höchste Blatt erreicht;
Er hatte wohl den heißen Tag verschlafen
Und rüstete sich nun zum Abendflug.
Rückwärts die Händchen ineinanderlegend,
Behutsam sah das Kind auf ihn herab.
Schon putzte er die Fühler, spannte schon
Die Flügeldecken aus, ein Weilchen, und
Nun flog er fort. Da nickt′ es still ihm nach.

Ich aber dachte: >Rühre nicht daran!

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Gedicht: Gartenspuk von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gartenspuk“ von Theodor Storm ist eine melancholische Reflexion über Erinnerung, Verlust und die Unfähigkeit, Vergangenes wiederzufinden. Das lyrische Ich erinnert sich an ein Kind im Garten, das als eine Art Spuk oder Geist erscheint und mit der Natur in Verbindung zu stehen scheint. Dieses Bild, das mehrfach auftaucht und wieder verschwindet, symbolisiert die Vergänglichkeit und die ungreifbare Natur der Vergangenheit.

Das Gedicht ist in mehrere Abschnitte unterteilt, die durch das Erleben des lyrischen Ichs in verschiedenen Zeitpunkten strukturiert sind. Der erste Teil beschreibt die Begegnung mit dem Kind im Garten, eine Szene, die von einer friedlichen Abendstimmung und dem Zusammenspiel von Licht und Schatten geprägt ist. Der Versuch, das Kind zu erreichen, scheitert, was die Flüchtigkeit der Vision unterstreicht. Der zweite Abschnitt schildert das Abschiednehmen vom Garten und eine Erinnerung an eine frühere Trennung, welche eine tiefere Bedeutung des Verlustes und der Sehnsucht nach der Vergangenheit andeutet.

Der Kern des Gedichts liegt in der Darstellung des Gartens als einem Ort der Erinnerung und des Verlustes. Die Natur – die Bäume, das Gras, die Blumen, die Insekten – spielt eine wichtige Rolle in der Schaffung einer Atmosphäre von Nostalgie und Melancholie. Die detaillierten Beschreibungen der Szenerie, wie der „Abendduft“ oder der „Garteneinsamkeit“, verstärken die emotionale Wirkung und lassen den Leser in die Stimmung des lyrischen Ichs eintauchen. Die wiederholte Begegnung mit dem Kind, die wie ein flüchtiger Traum erscheint, symbolisiert die unaufhaltsame Verwandlung von Zeit und Erinnerung.

In den letzten Strophen, als das lyrische Ich in der Fremde weilt und später den Garten erneut besucht, manifestiert sich die Unfähigkeit, die Vergangenheit zurückzugewinnen. Der Garten erscheint verschlossen und unwirtlich, die vergangene Zeit unerreichbar. Die Emotionen des lyrischen Ichs, wie „Grimm und Heimweh“, zeigen die Zerrissenheit zwischen der Sehnsucht nach der Vergangenheit und der Erkenntnis, dass diese nicht wiederhergestellt werden kann. Das Gedicht endet mit der resignierten Erkenntnis, dass der Garten und die darin verborgenen Erinnerungen für immer verloren sind, was die zentrale Thematik von Verlust und Vergänglichkeit eindrücklich veranschaulicht.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.