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An eine Orange

Von

Herrliche Frucht,
im Haine behutsam gereift.
Von Sonne und Südwind
tausendmal geküsst, gerötet, gegoldet.
Duftend und schwer
ruhst Du in meiner Hand.

Wie viele Sonnenküsse,
wie viele Regenschauer,
wie viel Vollmondschein,
welch ein großes warmes Land
halte ich mit dir, Vollkommene!
in meiner kleinen gewölbten Hand.

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Gedicht: An eine Orange von Francisca Stoecklin

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An eine Orange“ von Francisca Stoecklin ist eine zarte, fast andächtige Würdigung der Natur in Form einer einzelnen Frucht – der Orange. In wenigen Versen entfaltet sich ein meditatives Staunen über die Schönheit, Fülle und Vollkommenheit, die in einem einfachen Gegenstand der Natur gegenwärtig sind. Die Sprache ist schlicht und sinnlich, getragen von Dankbarkeit und Ehrfurcht.

Gleich zu Beginn wird die Orange als „herrliche Frucht“ bezeichnet, eine Formulierung, die sie aus dem Alltäglichen heraushebt. Der Reifeprozess im „Hain“, das behutsame Reifen, verweist auf Natürlichkeit und langsames Werden – ein Gegenbild zur Hast der modernen Welt. Die Personifikation durch die „tausend Küsse“ von Sonne und Südwind, die sie gerötet und gegoldet haben, lässt die Frucht fast wie ein geliebtes Wesen erscheinen, kostbar und von der Natur umsorgt.

In der zweiten Strophe weitet sich der Blick vom Äußeren zum Symbolischen. Die Orange wird zur Essenz eines ganzen Landes, einer ganzen Welt: „wie viele Sonnenküsse“, „wie viel Vollmondschein“ – diese Naturerscheinungen erscheinen nun wie Kräfte, die sich in der Frucht materialisieren. Damit wird die Orange zu einem Träger der Elemente, zu einer komprimierten Form des Südens, der Wärme, der Zeit und des Lebens.

Besonders eindrucksvoll ist das Schlussbild: In der „kleinen gewölbten Hand“ des lyrischen Ichs ruht die „Vollkommene“ – damit wird eine Spannung aufgebaut zwischen dem scheinbar Kleinen und dem Großartigen, das es in sich trägt. Das Gedicht vermittelt eine tiefe Ehrfurcht vor dem Einfachen und spricht von der Fähigkeit des Menschen, in einem einzelnen Naturgegenstand das Ganze, das Wunderhafte zu erkennen. Es ist ein stilles Loblied auf die Schönheit der Welt, verdichtet in der schlichten Präsenz einer Frucht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.