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Engel-Ehe

Von

Wie Flederwisch und Bürste sie regiert!
Glas und Gerät, es blitzt nur alles so
Und lacht und lebt! Nur, ach, sie selber nicht.
Ihr schmuck Gesicht, dem Manne ihrer Wahl,
Wenn ihre wirtschaftliche Bahn er kreuzt,
Gleich einer Maske hält sie′s ihm entgegen;
Und fragt er gar, so wirft sie ihm das Wort
Als wie dem Hunde einen Knochen zu.
Denn er ist schuld an allem, was sie plagt,
Am Trotz der Mägde, an den großen Wäschen,
Am Tagesmühsal und der Nächte Wachen,
Schuld an dem schmutz′gen Pudel und den Kindern. –
Und er? – Er weiß, wenn kaum der grimme Tod
Sein unverkennbar Mal ihm aufgeprägt,
Dann wird, der doch in jedem Weibe schläft,
Der Engel auch in seinem Weib erwachen;
Ihr eigen Weh bezwingend, wird sie dann,
Was aus der Jugend Süßes ihr verblieb,
Heraufbeschwören; leuchten wird es ihm
Aus ihren Augen, lind wie Sommeratem
Wird dann ihr Wort zu seinem Herzen gehn. –
Doch wähnet nicht, daß dies ihn tröste! Nein,
Den künft′gen Engel, greulich haßt er ihn;
Er magert ab, er schlottert im Gebein,
Er wird daran ersticken jedenfalls.
Doch eh ihm ganz die Kehle zugeschnürt,
Muß er sein Weib in Himmelsglorie sehn;
Die Rede, die er brütend ausstudiert,
Womit vor seinem letzten Atemzug,
Jedwedes Wort wie Schwert, auf einen Schlag
Er alles Ungemach ihr hat vergelten wollen,
Er wird sie nimmer halten; Segenstammeln
Wird noch von seinen toten Lippen fliehn.
Das alles weiß er, und es macht ihn toll;
Er geht umher und fluchet innerlich.
Ja, manches Mal im hellsten Sonnenschein
Durchfährt es ihn, als stürz er in das Grab.
Es war sein Weib, sie sprach ein sanftes Wort;
Und zitternd blickt er auf: »Oh, Gott sei Dank,
Noch nicht, noch nicht das Engelsangesicht!«

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Gedicht: Engel-Ehe von Theodor Storm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Engel-Ehe“ von Theodor Storm entwirft ein düsteres Bild einer Ehe, in der die anfängliche Zuneigung durch eine unerträgliche Unzufriedenheit und gegenseitige Schuldzuweisungen ersetzt wurde. Das Gedicht beschreibt die Ehe als eine leblose, von Pflichten und Zwängen beherrschte Beziehung. Die Frau, die anfangs vielleicht Liebe und Wärme verkörperte, ist zu einer frostigen, distanzierten Person geworden, die ihren Ehemann wie eine Maschine behandelt.

Die Struktur des Gedichts ist bemerkenswert: Der erste Teil beschreibt die Gegenwart, die qualvolle Realität der Ehe. Die Frau regiert den Haushalt, wird aber selbst nicht lebendig, ihre Zuneigung ist erloschen. Der Mann ist an allem schuld, an den Problemen und der Unzufriedenheit. Der zweite Teil wendet sich der Zukunft zu, einer Vision nach dem Tod des Mannes. Erst dann, so die düstere Prophezeiung, wird der „Engel“ in der Frau erwachen, die Liebe und Schönheit ihrer Jugend zeigen. Dieser Kontrast zwischen der kalten Gegenwart und dem verheißungsvollen zukünftigen Erwachen des Engels unterstreicht die Tragik der Situation.

Storm nutzt starke Bilder und Metaphern, um die Gefühlswelt des Mannes zu vermitteln. Der Mann hasst den künftigen Engel, er sehnt sich nicht nach dem ewigen Leben, sondern hasst die Vorstellung von der Erlösung seiner Frau, die er erst nach seinem Tod erleben soll. Die Beschreibung seines Verfalls – er magert ab, schlottert, erstickt – zeigt die zerstörerische Kraft der emotionalen Belastung. Die düstere Ironie gipfelt in dem Gedanken, dass der Mann, kurz vor seinem Tod, nicht die Worte der Anklage und des Vorwurfs äußern kann, die er geplant hatte, sondern stattdessen segnende Worte sprechen muss.

Die letzte Strophe verdeutlicht die tiefe Verzweiflung des Mannes. Er wird fast verrückt und verflucht innerlich seine Situation. Der Moment der vermeintlichen Erlösung, wenn seine Frau ein sanftes Wort spricht, verwandelt sich in einen Moment der Angst. Er ist dankbar, dass das „Engelsangesicht“ noch nicht erschienen ist, was seinen Wunsch nach Tod und Befreiung von den Qualen der Ehe noch verstärkt. Storms Gedicht ist ein düsteres Porträt einer Beziehung, in der Liebe und Glück durch Enttäuschung, Verbitterung und gegenseitige Schuldzuweisungen zerstört wurden. Es ist eine erschütternde Reflexion über die zerstörerische Kraft ungelebter Gefühle und die Tragik einer unglücklichen Ehe.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.