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Ein Schloß in Böhmen

Von

In Böhmens Bergen hocheinsam liegt
In Trümmern eine Veste,
Dran Epheu sich statt des Mörtels schmiegt,
Drin Geier die schmausenden Gäste.
Der Feind zerbrach einst Wall und Thurm,
Gebälk und Getäfel fraß der Wurm,
Die Zeit zerrieb die Reste.

»O Wunderblick ins Thal hinein
Und über die Berg’ und Lande!
Raff’ auf die Knochen, dein morsch Gestein,
Steig auf im alten Gewande,
Du Leiche jetzt, o Väterschloß,
Ersteh’ zum Leben neu und groß,
Ein Schmuck und Stolz dem Lande!«

Der junge Ritter sprach’s und gebot;
Die Felsen im Bruch zerknallen,
Im Flammengewölk der Kalkstein loht,
Die Riesen des Forstes fallen,
Und stämmige Stiere keuchen bergan
Mit Sparren und Quadern, mit Sims und Altan,
Mit Balken und Säulen der Hallen.

Hei, an den Bau griff Hand an Hand,
Ein Tagwerk gab’s aufs Beste:
Der neue Bau zwier mannshoch stand
Schon über dem Trümmerreste.
Doch weh, was der Tag zu Werk gebracht,
Zerfallen ist’s wieder über Nacht,
In Schutt liegt Morgens die Veste.

»O schlechter Mörtel, schlechtre Hand!
Gebt Kraft ihm mit starkem Weine
Und zwingt mit eiserner Klammern Band
Die ungehorsamen Steine!«
Und so geschah’s, doch über Nacht
Zerfiel, was der Tag zu Werk gebracht;
Nur Trümmer im Morgenscheine!

Zum Ritter tritt ein Werkmann alt:
»Sieh hin und uns nicht fluche:
Das Rüstholz liegt, wo sie’s fällten, im Wald,
Die Quadern unten im Bruche!
In solcher Art kein Bau zerfällt,
Den hat ein gewaltiger Feind zerschellt!
Laß Wächter stehn dem Besuche.«

Die Wächter lehnen bei Nacht am Wall.
Da fächeln so lau die Weste,
Der Mond bestreut ihr Aug’ mit Metall,
In Träumen flüstern die Aeste;
Da schlummern sie leise, leise ein.
Man fand sie am Morgen unterm Gestein,
In Trümmern lag die Veste.

Der Ritter sprach: »Nur Muth bewahrt!
Ans Werk, und laßt das Trauern!«
Das geht nicht zu in rechter Art,
Denkt er bei sich mit Schauern.
Gen Kloster Kukus trabt er dann:
»Herr Abt, o schließt des Segens Bann,
Ihr könnt’s, um meine Mauern!«

Zu Nacht umwallten des Tages Bau
Der Abt und seine Genossen,
Der Weihrauch wirbelt’ ins nächt’ge Blau,
Vom Glanz der Fackeln umflossen.
Sie trugen ihm Kreuz und Weihbronn vor,
Der Mönche Lieder in ernstem Chor
Sich durch die Nacht ergossen.

Seht dort, behelmt, langbärtig am Wall
Von riesigem Leib drei Recken,
Seht sie im Harnisch von dunklem Metall
Drei Aexte hochauf strecken!
»Im Namen des Herrn, der dem All gebeut
Ihr Söhne der Nacht, steht Rede heut!«
Der Abt rief’s fast mit Schrecken.

Drauf aber erhoben die Drei das Wort,
Kein irdisch Singen noch Sprechen!
Ein Brausen war’s des Walds, der verdorrt,
Ein Rauschen von wallenden Bächen,
Ein Todesjubeln der Glock’ im Thurm,
Ein Herbstfrohlocken, das der Sturm
Ausjauchzt über Stoppelflächen:

»Ihm Ruhm und Lob! Ihm Preis und Ehr’.
Wir fliehn nicht vor seinem Namen.
Hier ist kein Haus für Lebend’ge mehr,
Hier reift des Todes Samen.
Der Herr sprach: Tödtet nicht, was da lebt,
Doch auch ins Leben zu wecken bebt,
Was dem Tode verfallen! Amen.

Nie grünt der Baum, den gefällt dein Beil,
Nie glimmt der Stern, der verlodert,
Nie gras’t der Hirsch, den erlegt dein Pfeil;
Was des Todes, nicht heim mehr fodert!
Nie mehr wird blond dein Schneehaupt, Greis,
Nie weckt den todten Leib dein Geheiß,
Noch minder den Geist, der modert!«

So sprachen sie; abschütteln dabei
Ihr dürres Laub die Aeste!
Die blanken Aexte schwingen die Drei,
Da bekreuzen sich fromm die Gäste;
Ein mächtiger Schlag, ein donnernder Knall,
Ein Staubgewölk, ein dröhnender Fall!
In Trümmern liegt die Veste.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ein Schloß in Böhmen von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Schloß in Böhmen“ von Anastasius Grün ist eine vielschichtige Ballade, die sich um den vergeblichen Versuch eines jungen Ritters dreht, eine verfallene Burg wieder aufzubauen. Die Interpretation des Gedichts offenbart mehrere Ebenen, die von der äußeren Handlung bis hin zu tieferen metaphysischen Fragen reichen.

Auf der offensichtlichen Ebene erzählt das Gedicht eine Geschichte von Wiederaufbau und Zerstörung. Der Ritter, getrieben von der Sehnsucht nach alter Größe und dem Wunsch, das Erbe seiner Vorfahren zu bewahren, versucht, die Burg wiederaufzubauen. Er mobilisiert Arbeiter, verwendet unterschiedliche Materialien und Methoden, doch all seine Bemühungen scheitern. Jede Nacht stürzt das mühsam errichtete Bauwerk erneut in sich zusammen. Dies deutet auf die Grenzen menschlichen Handelns und die Übermacht bestimmter, unüberwindbarer Kräfte hin.

Die zweite Ebene des Gedichts behandelt die Thematik des Todes und der Unsterblichkeit. Die Geister der Burg, in Form von drei behelmten Recken, offenbaren dem Abt und seinen Begleitern die wahre Ursache des Scheiterns. Sie erklären, dass die Burg dem Tod verfallen ist und es in diesem Bereich kein Leben mehr geben darf. Die Geister, die in einer unheimlichen Mischung aus Naturgewalten und Todesankündigung sprechen, symbolisieren die unabänderlichen Gesetze des Kreislaufs von Leben und Tod. Sie sind ein Mahnmal dafür, dass nicht alles im Leben repariert oder wiederhergestellt werden kann, und dass der Versuch, den Lauf der Natur zu verändern, zum Scheitern verurteilt ist.

Die Verwendung von Naturmetaphern, wie dem Brausen des Walds und dem Rauschen der Bäche, verleiht der Aussage der Geister eine universelle und unaufhaltsame Kraft. Die Botschaft des Gedichts ist düster, aber auch philosophisch. Es legt nahe, dass der Mensch akzeptieren muss, was dem Tod verfallen ist, und sich nicht an Illusionen der Wiedergeburt klammern sollte. Der Ritter, der zunächst von seinem Traum besessen war, muss am Ende erkennen, dass er gegen eine übergeordnete Ordnung gekämpft hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Ein Schloß in Böhmen“ ein komplexes Gedicht ist, das über die bloße Erzählung einer gescheiterten Baumaßnahme hinausgeht. Es ist eine Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens, die Unausweichlichkeit des Todes und die Grenzen menschlichen Eingreifens. Das Gedicht mahnt den Leser, die Naturgesetze zu akzeptieren und sich der eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.