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Eifersucht und Stolz

Von

Wohin so schnell, so kraus und wild, mein lieber Bach?
Eilst du voll Zorn dem frechen Bruder Jäger nach?
Kehr um, kehr um, und schilt erst deine Müllerin
Für ihren leichten, losen, kleinen Flattersinn.
Sahst du sie gestern abend nicht am Tore stehn,
Mit langem Halse nach der großen Straße sehn?
Wenn vom den Fang der Jäger lustig zieht nach Haus,
Da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster ′naus.
Geh, Bächlein, hin und sag ihr das; doch sag ihr nicht,
Hörst du, kein Wort von meinem traurigen Gesicht.
Sag ihr: Er schnitzt bei mir sich eine Pfeif′ aus Rohr
Und bläst den Kindern schöne Tänz′ und Lieder vor.

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Gedicht: Eifersucht und Stolz von Wilhelm Müller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Eifersucht und Stolz“ von Wilhelm Müller ist eine berührende Szene, die die komplexen Emotionen von Eifersucht und versteckter Zuneigung thematisiert. Es entfaltet sich in einem Dialog zwischen dem lyrischen Ich, das durch das Bächlein repräsentiert wird, und einer unbekannten Person, die durch die Fragen des Ichs impliziert wird. Die zentrale Figur ist die Müllerin, deren Verhalten die Quelle der Eifersucht des Ichs darstellt.

Die Struktur des Gedichts ist meisterhaft aufgebaut. Durch die Fragen an den Bach wird der Leser in die Gefühlswelt des Sprechers hineingezogen. Die rhetorischen Fragen, wie „Wohin so schnell, so kraus und wild, mein lieber Bach?“ oder „Sahst du sie gestern abend nicht am Tore stehn?“, lenken die Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Müllerin und die damit verbundene Ungewissheit des lyrischen Ichs. Die Verwendung des Begriffs „kraus und wild“ für das Bächlein spiegelt die innere Aufruhr des Sprechers wider, der sich nach dem schnellen Weg des Baches zum Jäger sehnt und seine Unruhe auf das Bächlein projiziert. Dies wird durch die Anweisung, die Müllerin zu „schilt“, noch verstärkt.

Die eigentliche Pointe des Gedichts liegt in der versteckten Zuneigung, die hinter der Eifersucht zum Vorschein kommt. Der Sprecher fordert das Bächlein zwar auf, die Müllerin zu tadeln, gleichzeitig soll es jedoch nicht von seinem eigenen Leid, seinem „traurigen Gesicht“, berichten. Stattdessen soll es ein scheinbar unschuldiges Bild vermitteln, in dem er sich mit Pfeife und Liedern für Kinder vergnügt. Diese doppelte Botschaft offenbart die widersprüchlichen Gefühle des Sprechers: Er ist eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit der Müllerin für den Jäger, versucht aber gleichzeitig, seine Gefühle zu verbergen und sich im Scheinwerferlicht der Müllerin als unbeschwerter Musikant darzustellen.

Die Metaphern und Bilder des Gedichts verstärken diese Botschaft. Das „Bächlein“ als Bote, die „Müllerin“ als Objekt der Begierde und der „Jäger“ als Rivale tragen zur Dramatik bei. Die Pfeife und die Kinderlieder symbolisieren eine scheinbare Unbekümmertheit, die jedoch die Tiefe der verborgenen Gefühle des Sprechers kaschiert. Müller gelingt es, in wenigen Versen ein komplexes Gefühlsgeflecht darzustellen, in dem Eifersucht und Stolz, Schmerz und Zuneigung auf subtile und eindringliche Weise miteinander verwoben sind. Das Gedicht ist somit eine bemerkenswerte Charakterstudie, die die menschliche Natur in all ihren Widersprüchen einfängt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.