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Eifersucht

Von

Vorzustellen: Michael Jaroschin – untertänigst – ist mein Name.
Wohlgeboren, Hochgeboren auf dem Berge Gaurisankar.
Sah von oben stets nach unten, von den Gletschern in die Täler,
Von den Wolken auf die Wipfel, von der Sonne auf die Erde.

Und so sah ich eines Tages – vorzustellen: Michael Jaroschin,
Sonnengott von Profession – sah ich eines Tages nachts
(Jaroschin scheint auch des Nachts), sah ich
Durch ein unverhangnes Fenster… die geliebte Frau.

Sah die liebliche, die liebe, sah die Liebste, die Geliebte
– In den Armen eines andern –
Eines höheren Beamten, eines niederen Charakters.

Da erbleichte selbst die Sonne, vorzustellen: Michael Jaroschin,
Hob den goldnen Sonnendolch und stieß ihn strahlend durch das Fenster,
Stieß dem Mann ihn in den Nacken, fuhr der Dolch da durch den Nacken
Und dem Weibe in die Brust noch: Also lagen auf dem Diwan beide
hingestreckt, durchbohrt
Von dem Dolch des Sonnengottes, vorzustellen: Michael Jaroschin.

Hütet euch, ihr ungetreuen Weiber, vor dem Sonnengotte!
Ihn betrog die Sonnenfrau, und sie mußte darum sterben.
Vorzustellen: Michael Jaroschin hält die Wacht im Irrenhause
Als ein Rächer seiner Ehre, Rächer jeder Mannes Ehre.
In ihm glüht die edle Flamme, heilge Flamme: Eifersucht.

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Gedicht: Eifersucht von Klabund

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Eifersucht“ von Klabund präsentiert eine verstörende und überzeichnete Auseinandersetzung mit dem Thema Eifersucht, die in einer bizarren Mischung aus Überspanntheit und Groteske kulminiert. Das Gedicht, das mit einer seltsamen Formalität beginnt, „Vorzustellen: Michael Jaroschin – untertänigst – ist mein Name“, etabliert sofort eine distanzierte, fast parodistische Erzählweise. Die übertriebene Vorstellung des Erzählers als Sonnengott, der von einem hohen Berg herabschaut, deutet auf eine Selbstüberschätzung und einen Größenwahn hin, der durch die spätere Gewalttat noch verstärkt wird.

Die Beobachtung der untreuen Geliebten im Arm eines anderen Mannes löst eine katastrophale Reaktion aus. Der Sonnengott, dessen Würde verletzt wurde, wird zum Mörder. Die Verwendung des „goldnen Sonnendolches“ und die detailreiche Beschreibung der Gewalttat sind Ausdruck einer übersteigerten Fantasie und einer Entfaltung der Eifersucht in extremer Form. Die sprachliche Gestaltung, die sowohl pathetisch als auch ironisch wirkt, unterstreicht die surreale Qualität des Geschehens. Die Wiederholung von „Vorzustellen: Michael Jaroschin“ nach dem Mord deutet auf eine Fixierung auf das eigene Selbst und eine völlige Abwesenheit von Reue oder Empathie hin.

Die abschließende Warnung an „ungetreue Weiber“ und die Darstellung des Erzählers im Irrenhaus als „Rächer seiner Ehre“ verfestigen das Bild eines gestörten Charakters, der sich in seiner Eifersucht selbst verloren hat. Die „edle Flamme, heilge Flamme: Eifersucht“ wird hier auf zynische Weise als Rechtfertigung für Gewalt und Wahnvorstellungen dargestellt. Der Dichter entlarvt die Eifersucht nicht als romantisches Gefühl, sondern als zerstörerische Kraft, die zu Wahnsinn und Tod führt.

Klabunds Gedicht nutzt also die Elemente der Übertreibung und des Absurden, um die zerstörerische Natur der Eifersucht zu dekonstruieren. Es ist eine düstere, fast satirische Studie über die menschliche Psyche, in der die Grenzen zwischen Fantasie und Realität, zwischen Liebe und Hass, verschwimmen. Das Gedicht ist weit entfernt von einer romantischen Verklärung der Eifersucht, sondern zeigt vielmehr deren Abgründe und die daraus resultierenden verheerenden Konsequenzen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.