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Die Vorigen, weniger Einen

Von

1849.

»Hie stehe ich, ich kann nicht anders.
Gott helfe mir, Amen.«

Es war im krausen Jahr vierzig und acht
Das jenes Riesenfeuer angefacht,
Draus sich der Phönix Deutschland schwingen sollte;
Doch wie die Lohe stieg, die Windsbraut grollte,
Die Läuterung, sie wollte noch nicht kommen,
Drob manches Herz, auch meines, tief beklommen.
Ein Riesensturm, – der Straßenstaub nur hasche?
Ein Weltenbrand, – und all sein Rest nur Asche? –

So vor mich sinnend war ich eingetreten
Im Dom der Helden, Weisen und Poeten.
Der Marmorboden glänzte blank und helle,
Ein glattes Spiegelmeer, das zu befahren
Ein stattlich Schiffsgeschwader an der Schwelle
Vor Anker lag für die profanen Scharen;
Pantoffel, Filzschuh, Wollgalloschen schienen
Fregatt′ und Slup hier, Brigg und Brigantinen;
Der deutschen Flotte mocht′ ich hoffend denken,
– Jetzt müßt′ in Wehmut ich das Auge senken. –
Mein Boot bestieg auch ich, wie′s anbefohlen,
Behutsam steuert ich dahin und grüßte
Bekannte Häupter rings auf den Konsolen;
Vertraut schien mir zu nicken manche Büste,
Befeuernd, tröstend floß aus Marmormunde
Noch manch unsterblich Wort, manch heil′ge Kunde.

Da plötzlich hielt das Auge mir gefangen
Ein Bildniß, nicht erhofft in dieser Runde,
Ein Antlitz, drauf der Mönch und Krieger rangen,
Prophetenstirne bei des Schalkes Wangen.
Ich rief in Lust: »Willkommen, Gottwillkommen!
Ei, Doktor Martin, Fröhlichster der Frommen,
Als ich hierher vor Jahren kam im Wandern
Da irrtet Ihr noch vor dem Thor mit Andern,
Doch wann? und wie? und welche der Walküren
Hat es gewagt, Euch in dieß Haus zu führen?«

Da strich′s um die olymp′sche Lutherstirne
Wie heitres Lächeln und wie milde Trauer,
Gleichwie im Wechselspiel am Alpenfirne
Bald Sonnenblicke ziehn, bald Regenschauer;
Und also ließ vernehmen sich die Stimme:
»Es war zur Zeit, als schon in schwächerm Grimme
Der Winter rang mit ersten Frühlingslüften,
Da hört′ ich donnernd über unsern Grüften
Durch Deutschland hin ein Hochgewitter rollen,
Gesang und Schwertgeklirr, Gejauchz′ und Grollen:
Des Rothbarts Stunde, dacht′ ich, sei gekommen;
Von Heimatdrang fühlt′ ich mein Herz entglommen.
Da schritt ich zu Walhalla′s Heiligthume,
Am Bild von deutscher Größe, deutschem Ruhme
Die bange Seele wieder aufzurichten.
Mein stolzes Hoffen ließ sich schwer vernichten,
Denn ich ersah im Heimatland der Eichen
Schon hier und dort erblühn manch tröstlich Zeichen;
Auch wo ich schritt, im schönen Bayerlande,
Gesprengt der Dunkelmänner heil′ge Bande,
Die herrschend hier nur ultra montes spähte,
Bis sie ein Montezhauch vom Sessel wehte.
Ein tanzend Weiblein hat mit seinen Sohlen
Vom Königsdach gefegt die Kirchthurmsdohlen; –
Nicht immer war ein blanker Seraphdegen
Die Bahn des Herrn zu säubern auserlesen,
Bisweilen muß, Unsaubres wegzufegen,
Ihm dienen auch ein minder edler Besen. – –
So stand ich jede Nacht vor der Walhalle
Erwartend, daß der Held hernieder walle.
Umsonst, umsonst! – Sieh, dort von dem Gestelle
Hohnlächelt noch der bärt′ge Altgeselle, –
Er kam nicht! – Doch indes ich stand zu lauschen,
Urplötzlich mir zur Seite ging ein Rauschen,
Ein flatternd Knistern weicher Seidenbänder,
Die süße Zugluft bausch′ger Frau′ngewänder,
In Rhythmus regten sich beschwingte Socken,
An meine Wange streiften üpp′ge Locken,
Mir war′s, als ob mich Moschusduft umwehe
Von Odalisken- oder Schlangennähe,
Ich war berauscht und doch zu Tod erschrocken!
Zwei Feueraugen, schwarz und glüh wie Kohlen,
Fühlt′ ich ins Aug′ mir brennen und zugleich
Die Hand erfaßt von einer Hand so weich,
So rund, daß ich sie drücken mußt′ verstohlen!
In Andalusiens Lauten hört′ ich′s girren
So süß und traut, selbst Marmelstein zu kirren;
Das zog so lind, doch kräftig wie Magnet,
Ein Säulenheil′ger, wer da widersteht!
Mir war so wohl und doch nicht recht geheuer,
Mich lockt′ und schreckt′ das holde Abenteuer,
Noch zagt′ ich, denken mußt′ ich an Frau Käthe;
Doch einer Reitergerte drohend Pfeifen,
Ein Ruck, der fast mein Armgelenk verdrehte,
Ließ mich die fremden Klänge schnell begreifen:
Der Tanzwalküre folgend summt′ ich heiter
Mein Lied: ›Wer nicht liebt Wein, Weib‹ und so weiter.
An ihrer Hand schritt ich die finstern Stege,
Auf ihrem Fittig bin ich mitgeflogen,
Bei Nacht und Nebel bin ich eingezogen
Gedenkend: Dunkel sind des Herren Wege!
Hie steh ich! Aber kommen einst die Andern,
Dann spart mit Kränzen nicht und Fahnenschwingen;
Bei Mörserdonner und bei Glockenklingen
Laßt sie herein im Licht des Tages wandern!«

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Gedicht: Die Vorigen, weniger Einen von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Vorigen, weniger Einen“ von Anastasius Grün ist eine politische und satirische Reflexion auf die gescheiterte Revolution von 1848 in Deutschland. Der Autor verwendet eine Mischung aus Ironie, Melancholie und einem Hauch von Hoffnung, um die Desillusionierung und das Scheitern der liberalen Bestrebungen darzustellen.

Das Gedicht beginnt mit einer Anspielung auf Martin Luthers berühmten Ausspruch „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir, Amen.“ Dies setzt sofort einen historischen Rahmen und deutet auf die Erwartungen und das Scheitern der Revolution hin. Der Besuch des Dichters in der Walhalla, dem Ehrenmal für verdiente Deutsche, wird zum Ausgangspunkt einer kritischen Betrachtung der Ereignisse und ihrer Protagonisten. Die Szene wird mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Spott dargestellt, was die ambivalente Haltung des Autors gegenüber den Idealen der Zeit widerspiegelt.

Der Kern des Gedichts ist das Zusammentreffen des Dichters mit Martin Luther in der Walhalla. Luther, der hier als Symbol für die protestantische Reformation und den Aufbruch in eine neue Zeit steht, wird als überraschender Gast in der Heldengalerie dargestellt. Seine Anwesenheit und seine Worte zeigen die Ernüchterung des Dichters über den Verlauf der Revolution. Luther beschreibt, wie er von den Ereignissen in Deutschland angezogen wurde und wie er, statt die erhoffte „Rothbarts Stunde“ zu erleben, von einer „Tanzwalküre“ in die Irre geführt wurde. Diese Metapher deutet auf die Verführung durch weltliche Verlockungen und die Ablenkung von den eigentlichen Zielen der Revolution hin.

Luthers abschließende Worte enthalten sowohl Resignation als auch eine gewisse Hoffnung. Er erkennt sein Scheitern, mahnt aber gleichzeitig die nachfolgenden Generationen, bei deren Ankunft in der Walhalla mit größerer Ehre und Feierlichkeit empfangen zu werden. Dies deutet darauf hin, dass das Scheitern der Revolution nicht das Ende der Ideale bedeutet, sondern eine Lehre für die Zukunft sein soll. Die Verwendung von Ironie und Satire in der Darstellung der Ereignisse zeigt Grüns kritische Auseinandersetzung mit den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit und unterstreicht die Komplexität der historischen Umstände.

Das Gedicht ist somit eine tiefgründige Reflexion über die Hoffnungen und Enttäuschungen der 1848er Revolution. Es kritisiert die beteiligten Personen und Umstände, bewahrt aber gleichzeitig die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Durch die Kombination von historischer Anspielung, satirischer Darstellung und einem Hauch von Melancholie gelingt es Grün, ein komplexes Bild der Zeit zu zeichnen und den Leser zum Nachdenken über die Bedeutung von Idealen und ihr Scheitern anzuregen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.