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Die Hunde

Von

Elegie

Es waren einmal zwei Hunde,
Wie war das Herz ihnen schwer!
Sie liefen wohl eine Stunde
Hintereinander her.

Sie hofften, in liebendem Bunde
Werd ihnen leicht und frei,
Und waren doch nur zwei Hunde,
Und keine Hündin dabei.

Das ist die soziale Misere,
Die Sphinx in der Hundewelt,
Daß man vom Hundeverkehre
Die Hündinnen ferne hält.

Die Hündinnen werden ja häufig
Gleich nach der Geburt ersäuft,
Und wird eine Hündin läufig,
Verhindert man, daß sie läuft.

Man läßt sie aus ihrem Kerker
Tag und Nacht nicht heraus;
Knurrend liegt Bella im Erker
Zu Füßen der Tochter vom Haus.

Lisettchen starrt in die Zeilen
Und zittert wohl mit den Knien,
Zuckt mit den Lippen bisweilen,
Und beide denken an ihn.

Wallt man im Familienvereine
Sonntags vors Tor hinaus,
Bella geht an der Leine
Zugleich mit der Tochter vom Haus.

Hier rücken heran die Studenten,
Dort naht sich Nero galant;
Wie wird von beiden Enden
Die arme Leine gespannt!

In einem Rudel Hunde
Kam schließlich man überein,
Es möge nun in der Runde
Jeder mal Hündin sein.

Das Auge, angstvoll, trübe,
Schweift ferne zum Horizont,
Als spräch′s: Und das hat der Liebe
Himmlische Macht gekonnt.

Der kleine Fritz ging vorüber
Und sagte: „Lieber Papa,
Sage mir doch, du Lieber,
Was machen die Hunde da?“

Papa entgegnet: „Das nennt man,
Darf dir nicht sagen wie;
An diesen Greueln erkennt man
Das lausige Hundevieh.“

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Gedicht: Die Hunde von Frank Wedekind

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Hunde“ von Frank Wedekind ist eine satirische Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen und den sozialen Zwängen der Gesellschaft, verpackt in einer vermeintlichen Hundegeschichte. Die Elegie, die eigentlich eine Tragödie sein könnte, beginnt mit der Beschreibung zweier Hunde, die einsam und unglücklich hintereinander herlaufen, in der Hoffnung, in einer Beziehung Erfüllung zu finden. Doch ihr Leid rührt daher, dass sie nur zwei Rüden sind, ohne eine Hündin, die ihre Zuneigung erwidern könnte.

Wedekind entlarvt hier die soziale Ungleichheit und die Unterdrückung der weiblichen Hunde, die metaphorisch für die Frauen in der Gesellschaft stehen. Die Zeilen über die Hündinnen, die „gleich nach der Geburt ersäuft“ oder in Gefangenschaft gehalten werden, sind ein deutlicher Angriff auf die patriarchalen Strukturen, die Frauen ihrer Freiheit berauben. Die Geschichte von Bella, die an der Leine an der Seite der Tochter des Hauses gehen muss, symbolisiert die eingeschränkte Rolle der Frau, die sowohl unter der Kontrolle der Familie als auch durch gesellschaftliche Normen gefesselt ist.

Die vermeintliche Lösung des Problems – „Jeder mal Hündin sein“ – ist dabei ironisch und grotesk. Sie offenbart die Absurdität des Versuchs, die bestehenden Ungleichheiten zu überwinden, indem die Geschlechterrollen vertauscht werden. Die abschließende Szene, in der ein Kind die Frage nach dem seltsamen Verhalten der Hunde stellt, und der Vater die „Greuel“ als „lausiges Hundevieh“ verurteilt, verstärkt die Satire. Sie zeigt die Unfähigkeit der Gesellschaft, die tieferen Ursachen der Ungleichheit zu erkennen und stattdessen die Symptome zu verurteilen.

Das Gedicht ist also eine beißende Kritik an der Heuchelei und den falschen Moralvorstellungen der Gesellschaft. Wedekind nutzt die Tiere als Metaphern, um menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Strukturen zu sezieren. Durch die Verwendung von Ironie und Sarkasmus legt er die Doppelmoral und die Ungerechtigkeit offen, die in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen, aber auch in der gesellschaftlichen Ordnung insgesamt, herrschen. Das Gedicht ist ein Appell für Freiheit, Gleichheit und die Überwindung gesellschaftlicher Zwänge, der auch heute noch seine Aktualität behält.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.