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Die heilige Drei

Von

In erster Morgenfrühe
Naht Herzog Heinrich schon,
Sich für des Tages Mühe
Zu weihen, Gottes Thron.
Die alternde Kapelle
Verschwimmt noch halb im Duft,
Doch ist er gleich zur Stelle,
Er sucht nur eine Gruft.

Und als er sie gefunden,
Kniet er in Demut hin;
Ein Mensch mit tausend Wunden,
Sein Heil′ger, schläft darin.
Dem Tor, in Erz getrieben,
Sind treu durch Bildners Hand
Die Kämpfe eingeschrieben,
Die er im Fleisch bestand.

Der Herzog betet lange,
Von Gottes Geist umschwebt,
Doch wird′s ihm seltsam bange,
Als er sich dann erhebt.
Denn in gespenst′gem Lichte
Tritt plötzlich auf dem Tor
Vor seinem Angesichte
Die heil′ge Drei hervor.

Da denkt der edle Ritter:
Vorbei sind Lust und Qual!
Die hat kein ird′scher Finger
Gezeichnet, diese Zahl;
Die sagt mir, wie viel Tage
Noch mein sind bis zum Tod;
Doch ziemt mir keine Klage,
Wie streng auch das Gebot.

Mit Fasten und mit Beten
Macht er sich nun bereit,
Um vor den Herrn zu treten
Im weißen Feierkleid:
Er könnte Frist erbitten,
Weil er noch nicht so viel
Gestritten, ja gelitten,
Als er sich wünscht am Ziel.

Drei Tage fliehn in Eile,
Doch ruft der Tod ihn nicht;
So wandl′ ich mir zum Heile
Drei Monde noch im Licht?
Die sind mir für die Armen,
Und nicht für mich geschenkt,
Damit sie mein Erbarmen
Noch einmal recht bedenkt.

Nun läßt er Steine führen,
Und rasch ersteht ein Bau
Mit hundert offnen Türen
Und winkt durch Tal und Au.
Er sorgt, daß kein Begehren
Hier je vergebens klopft,
Und hat der Armut Zähren
Auf ewig so verstopft.

Drei Monde sind zu Ende,
Der Tod spricht noch nicht ein;
Da faltet er die Hände:
Dann sind drei Jahre mein!
So darf ich nicht von hinnen,
Eh′ ich das Werk vollbracht,
Dem galt mein tiefstes Sinnen
Bei Tage und bei Nacht.

Nun werden greise Männer
Um seinen Thron gestellt,
Die Schöffen sind′s, die Kenner
Des Rechts, aus aller Welt;
Sie waren sonst die Hüter
Von Leben, Gut und Blut;
Jetzt gibt er diese Güter
In des Gesetzes Hut.

Es kann ein Mensch vergessen,
Doch nie vergißt ein Buch,
Und richtig wird gemessen
Der Krone, wie dem Pflug;
Sein Recht soll jedem werden,
Wie′s Gott, der Herr, verhieß,
Denn so ersteht auf Erden
Das zweite Paradies.

Drei Jahre sind verflossen,
Der letzte Tag ist da;
Er hat sein Werk beschlossen,
Doch auch der Tod ist nah!
Und seine Wangen färben
Nur röter sich dabei,
Als ob für ihn das Sterben
Der Lohn des Lebens sei.

Er hüllt sich, nicht mehr zaudernd,
Stumm in sein Leichenhemd,
Das Volk erblickt es schaudernd,
Er wird ihm totenfremd.
Der Sarg ist längst gezimmert,
In dem er ruhen will,
Und eine Kerze schimmert
Ihm schon zu Häupten still.

Man reicht am heil′gen Orte
Ihm dann den Leib des Herrn;
Dem Altar ist die Pforte
Der Ahnengruft nicht fern,
Und mit des Priesters Segen
Tritt er hinein voll Ruh,
Und geht, sich selbst zu legen,
Dem Sarg gemessen zu.

Die Treuen knien im Kreise
Herum und trauern sehr,
Der Beicht′ger flüstert leise:
Bald thront ein Heil′ger mehr!
Sein Odem wird nicht stocken,
Sein Herz nicht stille stehn,
So müssen alle Glocken
Der Welt von selber gehn!

Es schlägt die letzte Stunde!
Da tönt Trompetenschall,
Das schmettert in die Runde,
Man jubelt überall.
Mit Fahnen, schwarz-gold-roten,
Kommt dann ein Zug sogleich,
Aus Frankfurt sind′s die Boten
Vom heil′gen röm′schen Reich.

Die Krone Karls des Großen
Trägt man auf Samt voran;
Den Degen auch, den bloßen,
Der ihm die Welt gewann;
Den Apfel, der verkündet,
Daß sie uns noch gehört;
Das Kreuz, ihm fromm verbündet,
Auf das der Kaiser schwört.

Wo weilt der edle Bayer,
Ruft Nürnbergs Burggraf aus,
Wir bringen seltne Feier
In sein erlauchtes Haus!
Doch, fröhlich um sich schauend,
Bricht er auf einmal ab,
Und alle starren grauend
Hinein ins offne Grab.

Der Herzog, rasch gewendet,
Ruft aus dem düstern Schlund:
Euch hat das Reich gesendet,
Was tut das Reich mir kund?
Wir haben dich zum Kaiser
Des deutschen Volks erwählt!
Längst trägst du Palmenreiser,
Der Lorbeer aber fehlt!

Er blickt beschämt nach oben:
Verstand ich dich so schlecht?
Doch sei mein Wahn erhoben,
Er weihte mich erst recht!
Ihm dank′ ich einen Frieden,
Der selbst dem Tod nicht weicht,
Und was du mir beschieden,
Jetzt nehm′ ich′s doppelt leicht.

So führt mich denn zum Throne,
Da Gott ihn mir beschert,
Und schmückt mich mit der Krone
Und stärkt mich durch das Schwert!
Den Streit der Welt zu schlichten,
Trag′ ich des Purpurs Pracht,
Doch um mich selbst zu richten,
Das Totenkleid bei Nacht!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die heilige Drei von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die heilige Drei“ von Friedrich Hebbel ist eine komplexe und vielschichtige Ballade, die von der Lebensreise Herzog Heinrichs handelt und Themen wie Frömmigkeit, menschliches Streben, Gerechtigkeit und Tod verwebt. Die Struktur des Gedichts folgt einem klaren narrativen Bogen, beginnend mit Heinrichs frommer Andacht und endend mit seiner überraschenden Erhebung zum Kaiser.

Die anfängliche Szene in der Kapelle und Heinrichs Gebet verdeutlichen seine tiefe Religiosität und sein Bedürfnis nach innerer Einkehr. Die Erscheinung der „heil′gen Drei“ markiert einen Wendepunkt, da sie Heinrich die Gewissheit über seine verbleibende Lebenszeit gibt. Dies führt ihn zu einer Reihe von guten Taten, wie dem Bau eines Armenhauses und der Etablierung eines gerechten Rechtssystems, was seine Absicht zeigt, seine restliche Lebenszeit sinnvoll zu nutzen und das Wohl seiner Untertanen zu fördern.

Die Verwendung der Zahl Drei, die sich in der titelgebenden „heil’gen Drei“ sowie in den Zeitabschnitten (drei Tage, drei Monate, drei Jahre) wiederfindet, hat eine tiefere symbolische Bedeutung. Sie könnte auf die Trinität, die drei Kardinaltugenden Glaube, Hoffnung und Liebe oder auch die drei Phasen der menschlichen Existenz – Geburt, Leben und Tod – anspielen. Diese Wiederholung verstärkt die zentrale Botschaft des Gedichts und verleiht ihm eine mystische Qualität.

Die überraschende Krönung Heinrichs zum Kaiser durch die Gesandten des Heiligen Römischen Reiches ist ein dramatisches Element, das die Erwartungen des Lesers unterläuft und eine tiefere Ebene der Interpretation freisetzt. Heinrichs Reaktion, in der er sowohl die Ehre annimmt als auch seine Bereitschaft zum Tod bekundet, offenbart eine tiefe Akzeptanz des Schicksals und eine Demut, die ihn zu einer komplexen und faszinierenden Figur macht. Das Gedicht endet mit einer doppelten Krönung, einer irdischen zum Kaiser und einer spirituellen, die durch das Totenkleid symbolisiert wird. Es unterstreicht die Vereinigung von Weltlichem und Spirituellem im Leben Heinrichs.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.