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Die Erde und der Mensch

Von

freundschaftlichst zugeeignet.
(1846 gedichtet.)

Dich, alte Erde, muß ich etwas fragen,
Damit ich endlich mir das Rätsel löse,
Mit dem in unsern ungewissen Tagen
Sich ängstlich plagt der Gute, wie der Böse.
Du magst mir, was du willst, als Antwort sagen,
Ich ruf′ es treu hinaus in das Getöse
Der Millionen wild verworrner Stimmen,
Gleichgültig, ob sie jauchzen, ob ergrimmen.

Ich seh′ den holden Frühling wiederkehren,
Und reicher war er niemals noch gestaltet,
Als wolltest du dich jedes Keims entleeren,
So hat sich üppig alles rings entfaltet,
Die Fülle hört nicht auf, sich zu vermehren,
Verschwenderisch erscheint der Geist, der waltet,
Man fragt: kann jetzt ein zweiter Lenz noch kommen?
Allein man weiß: dem Herbst wird dieser frommen!

Doch deine Menschen schaun darein mit Mienen,
Als wärst du nicht ein ewig-grüner Garten,
Vielmehr ein Schiff, so überfüllt von ihnen,
Daß sie schon längst vor Furcht und Angst erstarrten,
Als wäre jetzt ihr jüngster Tag erschienen,
Als hätten sie nicht Frist mehr zu erwarten,
Als müßten sie sich um den Zwieback raufen
Und sich mit Blut ihr letztes Mahl erkaufen.

Sprich, Erde, drum: hat die Ernährung Schranken
Und die Erzeugung hätte dennoch keine?
Vergebens dürfte nicht ein Hälmchen ranken,
Indes entmarkt, mit schlotterndem Gebeine,
Zu Millionen schon die Menschen wanken,
Weil du für sie kein Brot mehr hast, nur Steine?
Weit eher sollte eine Welt voll Ähren
Ja doch verfaulen, als ein Mensch entbehren!

So hatt′ ich in der Frühlingsnacht gesprochen,
Verzweifelnd ob dem düstern Welt-Verhängnis,
Mir war der Geist gebeugt, das Herz gebrochen,
Und in der rastlos wachsenden Bedrängnis
Wagt′ ich die stumme Mutter aufzupochen
Um einen Trost in meiner Seelenbängnis.
Auch gab sie mir, die ich begehrt, die Kunde,
Jedoch in strengem Sinn, mit ernstem Munde.

Noch nie ist mir ein Kind aus Not gestorben –
Dies war ihr Spruch – denn jede war zu wenden,
Und sind auch ganze Völker schon verdorben,
Man konnte fernhin übers Meer sie senden,
Dort hätten sie sich Heil und Glück erworben
Und mich zugleich geschmückt mit fleiß′gen Händen,
Ich band die Bäume nur an ihre Schollen,
Die Menschen nicht, weil diese wandern sollen!

Darum verklagt nicht mich, wenn ihr verschmachtet
In einem Elend, das ihr selbst geschaffen,
Weil ihr das Mittel, das ich bot, verachtet:
Faßt endlich den Entschluß, euch aufzuraffen,
Und kehrt den Pflug, wenn ihr nach Segen trachtet,
Still gegen mich, nicht gegen euch die Waffen:
Ich hatt′ und hab′ für weit mehr Millionen
Noch Brot, als mich bewohnten und bewohnen!

Bin ich nur erst bebaut in allen Ländern,
So wird euch allen auch der Tisch sich decken,
Und sollte sich′s in fernster Zukunft ändern,
So habt ihr selbst die Grenze euch zu stecken,
Und die gehören zu der Freiheit Schändern,
Die dann vor dieser schweren Pflicht erschrecken;
Ich kann mich nicht vergrößern, meinen Kindern
Ist′s nicht unmöglich, ihre Zahl zu mindern.

Zwar glaube ich nach der Natur der Dinge,
Das Gleichgewicht wird ewig fortbestehen,
Wenn′s erst errungen ist, daß dies gelinge,
Müßt ihr den Weg, den ich euch zeigte, gehen.
So dreht euch denn nicht mehr im alten Ringe,
Erweitert ihn, und alles ist geschehen:
Wenn meine Quellen nicht mehr überfließen,
Wird wohl von selbst des Lebens Tor sich schließen.

Doch dies wird das Jahrtausend kaum entscheiden,
Drum soll es nicht schon das Jahrhundert quälen,
Ihr braucht nicht länger, als ihr wollt, zu leiden,
Ihr habt nur neu den Weltteil euch zu wählen,
Dann wird, was ich in meinen Eingeweiden
Bisher mit Qual verschloß, euch nicht mehr fehlen,
Und statt des Fluchs werd′ ich in vollen Chören
Zum erstenmal der Menschheit Jubel hören!

Nun schwieg sie still, ich aber rief vernichtet:
Sie hat mit uns, wir nicht mir ihr, zu rechten;
Darum zu Schiff, jedoch zum Heer verdichtet,
Nicht bloß zu pflügen gilt′s, wohl auch zu fechten;
So wird der große Doppelzwist geschlichtet,
Denn erst, wenn wir uns ganz mit ihr verflechten,
Kann sie der Sonne auch für ihre Strahlen
In Glanz und Duft die ganze Schuld bezahlen!

Laß aber du, o Vaterland, dich mahnen:
Vergiß sie nicht, die Kinder in der Ferne;
Sie werden segeln unter deinen Fahnen,
Drum sorge du, daß man sie achten lerne,
Und ziehn sie auch von Pol zu Pol die Bahnen,
Sei du mit ihnen, wie die treuen Sterne,
Und halte jedes, voll erhabnen Trutzes,
Je ferner dir, je würd′ger deines Schutzes!

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Gedicht: Die Erde und der Mensch von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Erde und der Mensch“ von Friedrich Hebbel ist eine eindringliche Auseinandersetzung mit der Thematik der Überbevölkerung, des Hungers und der Verantwortung des Menschen für seine Lebensbedingungen. Es beginnt mit einer direkten Ansprache an die Erde, die der Autor um Aufklärung bittet. Er nimmt die üppige Schönheit des Frühlings wahr, konfrontiert diese aber mit der Besorgnis und den Ängsten der Menschen, die sich scheinbar im Angesicht des Überflusses Sorgen um ihre Zukunft machen. Die Gegensätzlichkeit zwischen der unaufhaltsamen Fülle der Natur und der menschlichen Furcht vor Mangel ist ein zentrales Thema des Gedichts.

Die Erde antwortet dem Autor, indem sie die Schuld für die Not des Menschen nicht bei sich selbst, sondern beim Menschen sucht. Sie stellt klar, dass es genügend Ressourcen gibt, um alle zu ernähren, wenn die Menschen bereit wären, diese zu nutzen und sich anzupassen. Die Erde verweist auf die Möglichkeit der Auswanderung und der Erschließung neuer Lebensräume. Sie betont, dass die Menschen frei sind, ihre Lebensbedingungen selbst zu gestalten und dass die Erde selbst nicht für das Leid der Menschen verantwortlich ist. Diese Aussage deutet auf eine Verantwortung des Menschen für sein eigenes Handeln und die daraus resultierenden Folgen hin.

Hebbel schlägt in diesem Gedicht einen Weg zur Lösung des Problems vor: Die Menschen sollen die Erde durch Landwirtschaft erschließen und sich neue Lebensräume suchen, wenn die bestehenden Ressourcen nicht ausreichen. Gleichzeitig warnt er vor einer passiven Haltung und fordert die Menschen auf, ihre Freiheit zu nutzen und aktiv zu handeln. Die letzten Strophen des Gedichts deuten darauf hin, dass der Mensch in der Lage ist, seine Situation zu verbessern, wenn er die Prinzipien der Natur versteht und danach handelt. Die Lösung liegt nicht in der Klage über das Schicksal, sondern in der aktiven Gestaltung des eigenen Lebens.

Das Gedicht endet mit einem Appell an das Vaterland, die Auswanderer zu unterstützen und zu beschützen. Dies unterstreicht die Bedeutung von Solidarität und Zusammenhalt, selbst wenn sich die Menschen über weite Distanzen trennen. Hebbel fordert eine aktive Rolle des Staates, der sich um seine Bürger kümmern und sie bei der Suche nach einem besseren Leben unterstützen soll. Die Schlusszeilen verbinden die individuelle Verantwortung mit der gemeinschaftlichen Aufgabe, eine gerechtere und lebenswertere Welt zu schaffen.

Insgesamt ist „Die Erde und der Mensch“ ein komplexes Gedicht, das sich mit Themen wie Überbevölkerung, Knappheit, Verantwortung und Freiheit auseinandersetzt. Es fordert den Leser auf, die Welt um sich herum kritisch zu betrachten und aktiv an der Gestaltung einer besseren Zukunft mitzuwirken. Das Gedicht ist ein Appell an das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen und der Gemeinschaft und verdeutlicht die Notwendigkeit von Anpassung und Veränderung, um mit den Gegebenheiten der Welt in Einklang zu kommen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.