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Der Stifter

Von

Das war der Auftrag an die Malergilde.
Vielleicht daß ihm der Heiland nie erschien;
vielleicht trat auch kein heiliger Bischof milde
an seine Seite wie in diesem Bilde
und legte leise seine Hand auf ihn.

Vielleicht war dieses alles: so zu knien
(so wie es alles ist was wir erfuhren):
zu knien: daß man die eigenen Konturen,
die auswärtswollenden, ganz angespannt
im Herzen hält, wie Pferde in der Hand.

Daß wenn ein Ungeheueres geschähe,
das nicht versprochen ist und nie verbrieft,
wir hoffen könnten, daß es uns nicht sähe
und näher käme, ganz in unsre Nähe,
mit sich beschäftigt und in sich vertieft.

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Gedicht: Der Stifter von Rainer Maria Rilke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Stifter“ von Rainer Maria Rilke ist eine tiefgründige Reflexion über die menschliche Existenz, die innere Sammlung und die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten. Es beginnt mit der Beschreibung des Auftrags an eine Malergilde, wobei der Stifter selbst zum Mittelpunkt wird. Die ungewisse Erwartung, ob ihm der Heiland je erschien oder ein heiliger Bischof ihm beistand, deutet auf eine existentielle Suche und die Frage nach dem Glauben und der Unterstützung hin, die der Mensch im Leben sucht.

Der zweite Teil des Gedichts fokussiert sich auf die Haltung des Stifters. Das Knien wird hier zu einer Metapher für die Disziplin und das innere Halten der eigenen „Konturen“. Die „auswärtswollenden“ Konturen, die sich nach außen drängen, werden im Herzen gehalten, wie Pferde in den Zügeln. Diese Bildsprache verdeutlicht die Notwendigkeit der Selbstkontrolle und der inneren Sammlung, um nicht von äußeren Einflüssen abgelenkt oder gar überwältigt zu werden. Es ist eine Aufforderung zur Selbstbeherrschung und zur bewussten Gestaltung des eigenen Seins.

Die abschließende Strophe führt das Gedicht zu einer Auseinandersetzung mit dem Unerwarteten und dem Ungeheuerlichen. Die Metapher des „Ungeheueres“, das nicht versprochen und nie verbrieft ist, steht für unerwartete Ereignisse, Ängste oder Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt. Die Hoffnung, dass dieses „Ungeheuer“ uns nicht sieht und sich in sich selbst vertieft, suggeriert den Wunsch nach einer Art innerem Schutz oder der Fähigkeit, sich vor der überwältigenden Kraft des Unbekannten zu verbergen.

Insgesamt ist „Der Stifter“ ein Gedicht über die innere Haltung des Menschen angesichts der Ungewissheit und der potentiellen Gefahren des Lebens. Es plädiert für die Bedeutung der Selbstkontrolle, der Konzentration auf das Innere und der Hoffnung, dass man den Herausforderungen des Lebens durch innere Stärke und Selbstbeherrschung begegnen kann. Rilkes Wortwahl und die bildreiche Sprache laden den Leser ein, über die eigene Existenz und die Bewältigung des Unbekannten nachzudenken.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.