Der nächtliche Weg
Ich ging den Weg einmal: da war ich sieben,
So arm und reich!
Mir war, ich hielt ein nacktes Schwert in Händen,
Und selbst die Sterne bebten seinem Streich.
Mit siebzehn ging ich wiederum den Weg
Erst recht allein:
Ein Etwas huschte in den blassen Winden,
Von oben kam der fremden Welten Schein.
Nun führ ich dich, du spürst nur meine Hand:
Einst war ich sieben …
Und das Vergangne glimmt, von Geisterhand
Mit blassem Schein ins Dunkel hingeschrieben!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der nächtliche Weg“ von Hugo von Hofmannsthal beschreibt eine Lebensreise, die in drei Phasen unterteilt ist und die Entwicklung des Erzählers von der Kindheit bis zum Erwachsensein widerspiegelt. Die Metapher des Weges dient als Rahmen, um verschiedene Stadien des Lebens, Erfahrungen und die veränderte Wahrnehmung der Welt darzustellen. Die Wiederholung des „Ich ging den Weg“ etabliert einen zyklischen Charakter, der die Kontinuität der Erfahrung hervorhebt.
In der ersten Strophe, als er sieben Jahre alt war, erlebt der Erzähler eine Zeit der Unschuld und gleichzeitig des überwältigenden Gefühls der Macht. Die Worte „So arm und reich!“ deuten auf die ambivalente Natur der Kindheit hin, in der scheinbare Armut mit einer reichen Vorstellungskraft und einem Gefühl der Allmacht einhergeht. Das „nackte Schwert“ symbolisiert seine kindliche Stärke und sein Vertrauen, während das „Beben der Sterne“ die Auswirkungen seiner Einbildungskraft und die Grenzenlosigkeit seiner jugendlichen Fantasie darstellt.
Die zweite Strophe markiert die Jugend des Erzählers. Mit siebzehn Jahren wird der Weg als eine Reise der Einsamkeit erlebt, was auf die Selbstfindung und die Isolation während der Pubertät hindeutet. Das „Etwas huschte in den blassen Winden“ deutet auf eine vage, unerklärliche Präsenz hin, die die Welt umgibt, während der „fremden Welten Schein“ von oben eine Ahnung von etwas Größerem, Mystischerem vermittelt. Die Welt ist komplexer, voller Unsicherheiten und Veränderungen.
In der letzten Strophe, im Erwachsenenalter, führt der Erzähler nun jemanden, vermutlich einen geliebten Menschen, den Weg. Diese Zeilen zeigen eine Reflexion und die Übertragung des Erlebten auf eine neue Generation. Das „Vergangene“ wird durch die Metapher der „Geisterhand“ in der Dunkelheit konserviert und in blassem Schein bewahrt, was die Bedeutung der Erinnerung und die anhaltenden Auswirkungen früherer Erfahrungen hervorhebt. Der Erzähler reflektiert über seine eigene Vergangenheit und das Vermächtnis, das er hinterlässt. Das Gedicht ist eine tiefgründige Meditation über die Reise des Lebens, das Wachstum, die Erfahrungen und die menschliche Entwicklung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.