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Der Kuckuck

Von

Der Kuckuck sprach mit einem Star,
der aus der Stadt entflohen war.
„Was spricht man“, fing er an zu schrein,
„was spricht man in der Stadt von unsern Melodein?
Was spricht man von der Nachtigall?“
„Die ganze Stadt lobt ihre Lieder.“ –
„Und von der Lerche?“ rief er wieder.
„Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall.“
„Und von der Amsel?“ fuhr er fort.
„Auch diese lobt man hier und dort.“ –
„Ich muß dich doch noch etwas fragen:
Was“, rief er, „spricht man denn von mir,“
„Das“, sprach der Star, „das weiß ich nicht zu sagen;
denn keine Seele red′t von dir.“ –
„So will ich“, fuhr er fort, „mich an dem Undank rächen
und ewig von mir selber sprechen.“

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Gedicht: Der Kuckuck von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Kuckuck“ von Christian Fürchtegott Gellert ist eine pointierte Fabel, die sich kritisch mit dem Thema der Selbstüberschätzung und der daraus resultierenden Isolierung auseinandersetzt. Der Kuckuck, eitel und auf Lob angewiesen, befragt den Star nach der Meinung der Stadt über seine Gesangskunst und die seiner gefiederten Konkurrenten. Die Antworten offenbaren ein klares Bild: Während Nachtigall, Lerche und Amsel für ihre musikalischen Darbietungen geschätzt werden, wird der Kuckuck in der Stadt schlichtweg ignoriert.

Die Reaktion des Kuckucks ist bezeichnend für seine Charakterstruktur. Anstatt die fehlende Anerkennung zu akzeptieren oder gar selbstkritisch zu hinterfragen, beschließt er, sich an der vermeintlichen Undankbarkeit der Stadt zu rächen. Seine „Rache“ besteht darin, fortan nur noch von sich selbst zu sprechen, also seine eigene Stimme in den Vordergrund zu rücken, was ironischerweise seine Isolation noch verstärkt. Diese Entscheidung verdeutlicht die Selbstbezogenheit des Kuckucks und seine Unfähigkeit, konstruktiv mit Kritik oder mangelnder Wertschätzung umzugehen.

Gellerts Sprache ist klar und einfach, der Reim und die Verwendung direkter Rede machen das Gedicht zugänglich und leicht verständlich. Der Dialogcharakter, insbesondere die wiederholte Frageform des Kuckucks, verstärkt die Komik und zugleich die Tragik der Situation. Durch die Gegenüberstellung des Kuckucks mit den anderen Vögeln, deren Lob gelobt wird, unterstreicht der Autor die Bedeutung von Talent und Leistung, aber auch von Demut und Selbstreflexion.

Die Fabel ist ein Beispiel für Gellerts didaktische Absicht: Er möchte dem Leser eine Lehre vermitteln. Die Moral des Gedichts könnte lauten, dass Selbstüberschätzung und das Bedürfnis nach ständiger Bestätigung zu sozialer Isolation führen. Die Unfähigkeit, die eigene Rolle kritisch zu reflektieren und die Meinung anderer zu akzeptieren, verhindert letztlich eine echte Verbindung und Akzeptanz in der Gesellschaft. Der Kuckuck wird zum Sinnbild für diejenigen, die in ihrer Selbstgefälligkeit gefangen sind und somit an ihrem eigenen Unglück mitwirken.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.