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Der Kirschenstrauß

Von

Blond und fein, ein Lockenköpfchen,
Das kaum vier der Jahre hat,
Trippelt ängstlich durch das Gäßchen,
Jeder Schritt noch eine Tat.

Eier trägt es in den Händen,
Die es so verlegen hält,
Wie auf alten Kaiserbildern
Karl der Große seine Welt.

Arme Kleine! Wenn sie fielen,
Gäb′ es keinen Kuchen mehr,
Und der Weg ist so gefährlich
Und das Herzchen pocht so sehr!

Hätte sie geahnt, wie teuer
Oft sich büßt der Tatendrang,
Nimmer hätt′ sie ihn der Mutter
Abgeschmeichelt, diesen Gang.

Dennoch käm′ sie wohl zu Hause,
Forderte der Kirschenstrauß,
Den die Krämerin ihr schenkte,
Nur den Durst nicht so heraus.

Doch sie möchte eine kosten
Von den Beeren rund und rot,
Denn es sind für sie die ersten,
Und das bringt ihr große Not.

Ihre Hand zum Mund zu führen,
Wagt sie nimmer, denn das Ei
Könnte ihr derweil entschlüpfen,
Hält sie doch den Strauß dabei.

Drum versucht sie′s, sich zu bücken,
Doch die Kluft ist gar zu weit,
Und sie spitzt umsonst die Lippen
Nach der würz′gen Süßigkeit.

Aber sie gerät ins Straucheln,
Und das Unglück wär′ geschehn,
Bliebe sie nicht auf der Stelle
Wie erstarrt vor Schrecken, stehn.

Denn die Eier wollten gleiten,
Und sie hält sie nur noch fest,
Weil sie beide unwillkürlich
Gegen Leib und Brust gepreßt.

Lange wird es zwar nicht dauern:
Bellt der erste kleine Hund,
Fährt sie noch einmal zusammen,
Und sie rollen auf den Grund.

Doch da springt, den Küchenlöffel
In der mehlbestäubten Hand,
Ihr die Mutter rasch entgegen,
Und das Unglück ist gebannt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Kirschenstrauß von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Kirschenstrauß“ von Friedrich Hebbel beschreibt in einfühlsamer Weise eine Alltagssituation, die aus der Perspektive eines kleinen Mädchens dargestellt wird. Das Gedicht fängt die kindliche Unschuld, die Sorge um kleine Pflichten und das Verlangen nach Genuss ein. Es wird ein Gefühl von Spannung erzeugt, das sich aufbaut und dann auf überraschende Weise aufgelöst wird. Die zentralen Themen sind Verantwortung, Verlockung und die schützende Kraft der mütterlichen Liebe.

Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung des Kindes, die sowohl äußerliche Merkmale (blond, Lockenköpfchen) als auch Verhaltensweisen (ängstlich, Trippeln) hervorhebt. Die Beschreibung „Jeder Schritt noch eine Tat“ unterstreicht die Bedeutung, die das Mädchen der Aufgabe, Eier zu tragen, beimisst. Die Vergleiche mit Karl dem Großen, der seine Welt trägt, überhöhen die kindliche Perspektive und verleihen der Szene eine humorvolle Note, während sie gleichzeitig die Ernsthaftigkeit des Mädchens in ihrer Aufgabe verdeutlichen. Die Angst vor dem Scheitern, symbolisiert durch den drohenden Verlust der Eier, ist allgegenwärtig und erzeugt eine subtile Spannung.

Das Kernstück des Gedichts bildet der Konflikt zwischen der Erfüllung der Pflicht (die Eier zu tragen) und der Verlockung, die vom Kirschenstrauß ausgeht. Das Mädchen begehrt die Kirschen, kann sich aber aufgrund der Notwendigkeit, die Eier zu schützen, nicht danach richten. Dieser innere Konflikt wird durch die anschaulichen Beschreibungen des Mädchens, wie es sich versucht, zu bücken und die Kirschen zu erreichen, verdeutlicht. Der Moment des drohenden Scheiterns, als sie ins Straucheln gerät, wird mit großer Intensität geschildert und gipfelt in der Darstellung des Mädchens, das wie erstarrt vor Schrecken stehen bleibt.

Die Pointe des Gedichts liegt in der unerwarteten Wendung, als die Mutter erscheint und das drohende Unglück abwendet. Der Küchenlöffel in der mehlbestäubten Hand der Mutter deutet auf die unmittelbare Nähe der Mutter und die Bereitschaft, dem Kind zu helfen, hin. Diese Szene der Rettung ist von Wärme und Geborgenheit geprägt, die die kindliche Welt bereichert und die Bedeutung der mütterlichen Fürsorge hervorhebt. Der letzte Vers, der das Unglück als „gebannte“ Gefahr bezeichnet, schließt den Kreis und befriedigt das Lesebedürfnis nach einem glücklichen Ende, welches die schützende Kraft der Mutter hervorhebt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.