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Der Jüngling und die Spinne

Von

vor sich mit wachsender Trunkenheit

Sie liebt mich! Wie ich nun die Welt besitze
Ist über alle Worte, alle Träume:
Mir gilt es, daß von jeder dunklen Spitze
Die stillen Wolken tieferleucht′te Räume
Hinziehn, von ungeheurem Traum erfaßt:
So trägt es mich – daß ich mich nicht versäume!
Dem schönen Leben, Meer und Land zu Gast.
Nein! wie ein Morgentraum vom Schläfer fällt
Und in die Wirklichkeit hineinverblaßt,
Ist mir die Wahrheit jetzt erst aufgehellt:
Nicht treib ich als ein Gast umher, mich haben
Dämonisch zum Gebieter hergestellt
Die Fügungen des Schicksals: Junge Knaben
Sind da, die Ernst und Spiele von mir lernten,
Ich seh, wie manche meine Mienen haben,
Geheimnisvoll ergreift es mich, sie ernten
Zu sehn; und an den Ufern, an den Hügeln
Spür ich in einem wundervoll entfernten
Traumbilde sich mein Innerstes entriegeln
Beim Anblick, den mir ihre Taten geben.
Ich schaue an den Himmel auf, da spiegeln
Die Wolkenreiche, spiegeln mir im Schweben
Ersehntes, Hergegebenes, mich, das Ganze!
Ich bin von einem solchen großen Leben
Umrahmt, ich habe mit dem großen Glanze
Der schönen Sterne eine also nah
Verwandte Trunkenheit –
Nach welcher Zukunft greif ich Trunkner da?
Doch schwebt sie her, ich darf sie schon berühren:
Denn zu den Sternen steigt, was längst geschah,
Empor, und andre, andre Ströme führen
Das Ungeschehene herauf, die Erde
Läßt es empor aus unsichtbaren Türen,
Bezwungen von der bittenden Gebärde!

Der Jüngling
muß zurücktreten

Welch eine Angst ist hier, welch eine Not.
Mein Blut muß ebben, daß ich dich da sehe,
Du häßliche Gewalt, du Tier, du Tod!
Der großen Träume wundervolle Nähe
Klingt ab, wie irgendwo das ferne Rollen
Von einem Wasserfall, den ich schon ehe
Gehört, da schien er kühn und angeschwollen,
Jetzt sinkt das Rauschen, und die hohe Ferne
Wird leer und öd aus einer ahnungsvollen:
Die Welt besitzt sich selber, o ich lerne!
Nicht hemme ich die widrige Gestalt,
So wenig als den Lauf der schönen Sterne.
Vor meinen Augen tut sich die Gewalt,
Sie tut sich schmerzend mir im Herzen innen,
Sie hat an jeder meiner Fibern Halt,
Ich kann ihr – und ich will ihr nicht entrinnen:
Als wärens Wege, die zur Heimat führen,
Reißt es nach vorwärts mich mit allen Sinnen
Ins Ungewisse, und ich kann schon spüren
Ein unbegreiflich riesiges Genügen
Im Vorgefühl: ich werde dies gewinnen:
Schmerzen zu leiden, Schmerzen zuzufügen.
Nun spür ich schaudernd etwas mich umgeben,
Es türmt sich auf bis an die hohen Sterne,
Und seinen Namen weiß ich nun: das Leben.

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Gedicht: Der Jüngling und die Spinne von Hugo von Hofmannsthal

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Jüngling und die Spinne“ von Hugo von Hofmannsthal ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der menschlichen Erfahrung von Begeisterung, Ernüchterung und der Akzeptanz der Lebensrealität. Es zeichnet den Weg eines Jünglings nach, der zunächst von einer Euphorie erfasst wird, nur um dann von einer schmerzhaften Erkenntnis eingeholt zu werden. Der Text ist in zwei Teile gegliedert, die den Wandel des Jünglings von einem Zustand des Rausches und der Allmacht zu einem Zustand der Erkenntnis und der schmerzhaften Kapitulation vor dem Lauf des Lebens widerspiegeln.

Der erste Teil des Gedichts, in dem der Jüngling seine „Trunkenheit“ und das Gefühl, die Welt zu besitzen, beschreibt, ist geprägt von Überschwang und illusionärer Selbstüberschätzung. Er sieht sich als Zentrum eines großen, strahlenden Universums, umgeben vom Glanz der Sterne. Die Worte „Sie liebt mich!“ signalisieren den Höhepunkt dieser subjektiven Weltsicht, in der alles möglich erscheint. Doch diese hochfliegenden Gefühle sind flüchtig. Der Jüngling erlebt einen Moment der Ernüchterung, in dem er realisiert, dass er nicht der Herrscher, sondern ein Spielball des Schicksals ist. Die „Fügungen des Schicksals“ haben ihn zu ihrem Werkzeug gemacht, was ihm einen flüchtigen Moment der Erkenntnis und des Verständnisses ermöglicht.

Im zweiten Teil kippt die Stimmung. Der Jüngling wird mit einer „häßlichen Gewalt“, einem „Tier“ und dem „Tod“ konfrontiert – symbolisiert durch die Spinne. Die anfängliche Euphorie weicht Angst und Not. Die Welt, die er zu besitzen glaubte, entzieht sich ihm. Er erkennt, dass er der Gewalt des Lebens nicht entrinnen kann. Der Jüngling, der zuvor die Sterne und die Wolken in seinen „Träumen“ gefeiert hat, muss nun erkennen, dass die Welt sich selbst besitzt. Die „Schmerzen“, die er nun akzeptiert, werden zur unausweichlichen Wahrheit. Hier liegt die zentrale Erkenntnis des Gedichts: Das Leben ist nicht nur Schönheit und Traum, sondern auch Schmerz und Leid.

Hofmannsthals Sprache ist reich an Bildern und Metaphern, die die Gefühlswelt des Jünglings widerspiegeln. Die „Wolkenreiche“ und „schönen Sterne“ stehen für die anfängliche Verblendung, während die „Spinne“ und die „häßliche Gewalt“ für die bittere Realität stehen. Der Wechsel von „Trunkenheit“ zu „Angst“ und „Not“ zeigt den emotionalen Wandel des Jünglings. Die Struktur des Gedichts – mit dem abrupten Übergang von der Euphorie zur Ernüchterung – verstärkt die Dramatik der Erfahrung. Das Gedicht endet mit der Erkenntnis, dass das Leben selbst die Quelle aller Schmerzen und Freuden ist, ein Zyklus, dem sich der Mensch nicht entziehen kann.

Letztlich ist „Der Jüngling und die Spinne“ eine Meditation über die menschliche Existenz, die die Fragilität unserer Illusionen und die Unausweichlichkeit des Leidens beleuchtet. Es ist eine Reflexion über das Erwachsenwerden und die Akzeptanz der Realität, in der sowohl Freude als auch Schmerz untrennbar miteinander verbunden sind. Das Gedicht fordert uns auf, die Ambivalenz des Lebens anzunehmen und die Schmerzen als integralen Bestandteil unserer Erfahrung zu begreifen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.