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Der Jüngling in der Landschaft
Die Gärtner legten ihre Beete frei,
Und viele Bettler waren überall
Mit schwarzverbundnen Augen und mit Krücken
Doch auch mit Harfen und den neuen Blumen,
Dem starken Duft der schwachen Frühlingsblumen.
Die nackten Bäume ließen alles frei:
Man sah den Fluß hinab und sah den Markt,
Und viele Kinder spielen längs den Teichen.
Durch diese Landschaft ging er langsam hin
Und fühlte ihre Macht und wußte – daß
Auf ihn die Weltgeschicke sich bezogen.
Auf jene fremden Kinder ging er zu
Und war bereit, an unbekannter Schwelle
Ein neues Leben dienend hinzubringen.
Ihm fiel nicht ein, den Reichtum seiner Seele,
Die frühern Wege und Erinnerung
Verschlungner Finger und getauschter Seelen
Für mehr als nichtigen Besitz zu achten.
Der Duft der Blumen redet ihm nur
Von fremder Schönheit – und die neue Luft
Nahm er stillatmend ein, doch ohne Sehnsucht:
Nur daß er dienen durfte, freute ihn.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Jüngling in der Landschaft“ von Hugo von Hofmannsthal beschreibt eine kontemplative Erfahrung eines jungen Mannes in einer frühlingshaften Landschaft. Es ist eine Beobachtung, die sich sowohl auf die äußere Welt als auch auf die innere Gefühlswelt des Protagonisten konzentriert. Die Landschaft, mit ihren Gärtnern, Bettlern, Blumen und Kindern, dient als Kulisse für die Entwicklung des Jünglings, der sich auf eine Reise der Selbstfindung begibt.
Die ersten beiden Strophen etablieren die Szenerie und die Atmosphäre des Gedichts. Die freigelegten Beete, die Bettler mit ihren Instrumenten und die nackten Bäume vermitteln eine Atmosphäre des Aufbruchs und der Erneuerung, die typisch für den Frühling ist. Die erwähnten Blumen, die trotz ihrer Schwäche einen starken Duft verströmen, symbolisieren die Schönheit und Vergänglichkeit des Lebens. Der Jüngling, der langsam durch diese Landschaft geht, scheint sich der „Macht“ der Umgebung bewusst zu sein und verspürt eine tiefe Verbundenheit mit der Welt, ein Gefühl, das ihn dazu bringt, sich als Teil der „Weltgeschicke“ zu sehen.
Die dritte Strophe markiert einen Wendepunkt. Der Jüngling wendet sich den „fremden Kindern“ zu und zeigt die Bereitschaft, ein neues Leben im Dienste anderer zu beginnen. Dies deutet auf eine Abkehr von egoistischen Interessen und eine Hinwendung zur Selbstlosigkeit hin. Er scheint seine Vergangenheit und seinen „Reichtum seiner Seele“ nicht als Hindernis, sondern als einen nichtigen Besitz zu betrachten, was seine Bereitschaft zum Dienen und zur Hingabe noch verstärkt.
In der letzten Strophe wird der Zustand des Jünglings konkretisiert. Der Duft der Blumen und die neue Luft wirken auf ihn, doch er reagiert nicht mit Sehnsucht, sondern mit Freude. Diese Freude entspringt dem Dienst an anderen, was das zentrale Thema des Gedichts ausmacht. Der Jüngling findet Erfüllung in der Aufgabe, sich für andere zu engagieren, und seine innere Welt scheint sich dadurch zu beruhigen und zu ordnen. Hofmannsthals Gedicht feiert somit die Tugend des Dienens und der Hingabe, indem es die Entwicklung eines jungen Mannes in einer wunderschönen Landschaft mit tiefgreifender, spiritueller Bedeutung darstellt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.