Der hügel wo wir wandeln…
Der hügel wo wir wandeln liegt im schatten ·
Indes der drüben noch im lichte webt ·
Der mond auf seinen zarten grünen matten
Nur erst als kleine weisse wolke schwebt.
Die strassen weithin-deutend werden blasser
Den wandrern bietet ein gelispel halt ·
Ist es vom berg ein unsichtbares wasser
Ist es ein vogel der sein schlaflied lallt ?
Der dunkelfalter zwei die sich verfrühten
Verfolgen sich von halm zu halm im scherz . .
Der rain bereitet aus gesträuch und blüten
Den duft des abends für gedämpften schmerz.
(aus dem Gedichtzyklus: Das Jahr der Seele, 1897)
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Hügel wo wir wandeln…“ von Stefan George, aus dem Zyklus „Das Jahr der Seele“, beschreibt eine Abendstimmung, die von einer melancholischen Schönheit durchzogen ist. Es zeichnet ein Bild der Ruhe und des Übergangs, wobei die Natur als Spiegel der menschlichen Seele dient. Die Verwendung von einfachen, aber präzisen Bildern, wie dem „Hügel im Schatten“ und dem Mond, der als „kleine weisse wolke“ erscheint, erzeugt eine intime Atmosphäre.
Die erste Strophe etabliert die Szenerie mit dem Kontrast zwischen Schatten und Licht, wobei der „Hügel wo wir wandeln“ im Schatten liegt, während ein anderer, entfernterer Hügel noch vom Licht beschienen wird. Der Mond, noch jung und zart, unterstreicht das Gefühl des Übergangs von Tag zu Nacht. Die zweite Strophe stellt eine Frage nach dem Ursprung des „gelispel“ (Geflüster), das die Wanderer erreicht. Ist es das Geräusch von Wasser oder der Gesang eines Vogels? Diese offene Frage deutet auf eine geheimnisvolle, ungreifbare Quelle der Inspiration oder des Trostes hin.
In der dritten Strophe verdichtet sich die Stimmung. Dunkle Falter, Symbol der Nacht und vielleicht auch der Vergänglichkeit, spielen miteinander. Der „rain“ (Feldrand) bereitet einen Duft für den „gedämpften schmerz“ vor, was darauf hindeutet, dass die Natur den Schmerz lindern oder zumindest willkommen heißen kann. Das Gedicht oszilliert zwischen Ruhe und leiser Melancholie, zwischen der Schönheit des Augenblicks und einem Gefühl der Trauer, das im Abenddämmerung liegt.
George verwendet eine klare, präzise Sprache und einen einfachen Reim, um die Stimmung zu verstärken. Die Bilder sind sinnlich und wirken, als ob die Welt ihren Duft und ihre Melodien verströmt. Die Kombination aus Naturbeobachtung und gefühlsmäßiger Resonanz macht das Gedicht zu einer Betrachtung des menschlichen Befindens im Angesicht der Schönheit und des Vergehens der Zeit. Das Gedicht lässt uns teilhaben an einem Moment der Stille und des Nachdenkens, in dem Natur und Seele ineinander verschmelzen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.