Der Herbst [1]
Die Sagen, die der Erde sich entfernen,
Vom Geiste, der gewesen ist und wiederkehret,
Sie kehren zu der Menschheit sich, und vieles lernen
Wir aus der Zeit, die eilends sich verzehret.
Die Bilder der Vergangenheit sind nicht verlassen
Von der Natur, als wie die Tag‘ verblassen
Im hohen Sommer, kehrt der Herbst zur Erde nieder,
Der Geist der Schauer findet sich am Himmel wieder.
In kurzer Zeit hat vieles sich geendet,
Der Landmann, der am Pfluge sich gezeiget,
Er siehet, wie das Jahr sich frohem Ende neiget,
In solchen Bildern ist des Menschen Tag vollendet.
Der Erde Rund mit Felsen ausgezieret
Ist wie die Wolke nicht, die Abends sich verlieret,
Es zeiget sich mit einem goldnen Tage,
Und die Vollkommenheit ist ohne Klage.
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![Gedicht: Der Herbst [1] von Friedrich Hölderlin](https://poesie-oase.de/wp-content/uploads/2025/07/poem_der_herbst_1_friedrich_h_lderlinz2423.webp)
Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Herbst“ von Friedrich Hölderlin, ist eine Betrachtung über Vergänglichkeit, Kreisläufe und die Verbindung von Natur, Geist und menschlicher Erfahrung. Es greift das Thema des Herbstes als Metapher für das Ende, aber auch für die Wiederkehr und die Vollendung auf. Die Strophen arbeiten mit Kontrasten, indem sie sowohl das Verschwinden als auch die bleibende Präsenz von Geist und Erinnerung betonen.
In der ersten Strophe wird die Verbindung zwischen den „Sagen“ (Traditionen und Erzählungen) und der Menschheit hergestellt. Die „Sagen“ entfernen sich zwar von der Erde, kehren aber zur Menschheit zurück, wodurch ein Lernprozess ermöglicht wird. Das „Verzehren“ der Zeit wird angesprochen, was auf die Vergänglichkeit alles Irdischen hinweist. Die zweite Strophe beschreibt die Natur als Hüterin der Erinnerung und des Geistes. Die Natur vergisst die Vergangenheit nicht, und wie die Tage im Sommer verblassen, kehrt der Herbst auf die Erde zurück, wobei der Geist des Schauers am Himmel wieder auftaucht. Dies unterstreicht die zyklische Natur von Leben und Tod, von Ende und Neubeginn.
Die dritte Strophe konzentriert sich auf die menschliche Erfahrung des Verfalls und der Vollendung. Der Landmann, Symbol für die Arbeit und das Leben, sieht, wie das Jahr sich seinem „frohem Ende“ nähert. Dies spiegelt die Erfahrung des Menschen wider, dessen Tag ebenfalls endet. Die Bilder des Herbstes werden somit zu Spiegelbildern des menschlichen Lebens, das durch Arbeit geprägt ist und sich seinem Ende entgegen neigt. Doch das Ende wird hier nicht als reines Verschwinden gesehen, sondern als Teil eines größeren Kreislaufs.
Die vierte Strophe bietet eine eher hoffnungsvolle Note. Die Erde, geschmückt mit „Felsen“, wird mit der vergänglichen Wolke verglichen, die am Abend verschwindet. Die Erde zeigt sich in einem „goldnen Tage“, was auf eine strahlende Vollendung hindeutet, die „ohne Klage“ ist. Hier wird die Vergänglichkeit der Natur durch die dauerhafte Schönheit der Erde relativiert, die die Vollkommenheit in sich birgt. Diese letzte Strophe deutet an, dass das Ende nicht nur ein Verlust, sondern auch eine Transformation und eine Erneuerung ist, die durch die zyklischen Naturgesetze gewährleistet wird.
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Lizenz und Verwendung
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