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Der Gott des Morgens

Von

Die Vögel und Veigel sitzen auf Simsen und Dächern des Himmels
Schlafend in goldenen Träumen.

Der Morgen erwacht und schreitet ans grünlichen Toren, von Schaum gebaut.
An seine Brust anklammert sich ein verfrühtes Mövenpaar
Mit klatschenden Schwingen.

Er schreitet dahin, der Gott. Sein Kleid ist ein enganliegend Geflecht
Ans Kelchen tautriefender Rosen. Des Meeres Tosen hängt ihm vom Haupte
Herab im Lockengewühl, im Lockengefäll.

Korallentand und Schneckengehäuse sind sein klingelnder Kopfaufputz.
Lachende Riffe sind seiner Zähne weißblinkende Reihen.
Auf der Oboe ans Pappelholz lockt er die Sonne herauf.

Die Hände breitet er aus nach den neugebornen Unendlichkeiten.
Er schmettert den Stab auf das Felsengelände
Und rosane Brände werfen aufbrausend Entzündung weit in die Ferne.

Die Fenster und die Fassaden der Wolkengebäude stehen in Flammen.
Die Länder und Städte der Menschen schlafen noch wie vergessenes Spielzeug.
Über die Ebene schürfet des Gottes Schuh auf rollendem Perlengestein.

Wolken und Wellen, Weiden und Winde singen sein Lied ihm nach.
Die Hyazinthen der Gärten niesen sich wach und schau′n ihm verwundert ins Auge.
Die Gräser recken die grünen Schwerter und fechten ein nasses Getümmel.

Ungeduldig tanzet der Gott. Ihm ists nicht genug, daß die Erde
Dem Tag ihn entgegenträgt gleich einer Lustfregatte.
Auf dem Verdeck des segelnden Schiffes noch stürmt er dahin, der Gott,

Lachend und jauchzend, rufend und weckend, die Syrinx blasend
Mit hellem Getön.

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Gedicht: Der Gott des Morgens von Hugo Ball

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Gott des Morgens“ von Hugo Ball entführt den Leser in eine lebendige und farbenprächtige Welt, in der die Ankunft des Morgens mit einer göttlichen Figur gleichgesetzt wird. Das Gedicht ist eine Ode an die Kraft und den Enthusiasmus des Morgens, verkörpert durch den Gott, der mit Dynamik und Lebensfreude die Welt erweckt. Balls Verwendung von Bildern und Metaphern ist reichhaltig und erzeugt ein lebendiges und fast sinnliches Erlebnis.

Die ersten Strophen beschreiben die friedliche Stille des Morgens, in der Vögel träumen und die Welt im Schlaf verharrt. Doch schon hier deutet sich die kommende Verwandlung an, wenn der Morgen, in menschlicher Gestalt beschrieben, durch ein „grünliches Tor“ schreitet, das aus Schaum gebaut ist. Seine Erscheinung ist mit Elementen der Natur verwoben: sein Kleid besteht aus Rosen, das Meer ist sein Haar. Diese Personifizierung des Morgens, gekleidet in natürlichen Elementen, betont die enge Verbundenheit des Gottes mit der Natur und der Welt, die er erweckt.

Im Verlauf des Gedichts wird der Gott immer aktiver und kraftvoller. Er greift ein, um die Welt aus dem Schlaf zu reißen. Mit seinem Stab entfacht er Brände, die die Wolken und Gebäude der Welt erleuchten, und erweckt so alles zum Leben. Die Natur reagiert auf sein Erscheinen: Gräser recken sich, Blumen erwachen, und die Elemente singen ihm ein Lied. Die Beschreibung des Gottes als „Ungeduldig“ und „tanzend“ unterstreicht seinen jugendlichen Elan und die Freude am Schaffen. Er ist eine Figur, die die Welt mit Energie und Freude erfüllt.

Die Verwendung von Klangbildern wie „klingelnder Kopfaufputz“ oder „schmettert“ und „blasend“ verstärkt die Lebendigkeit und Dynamik des Gedichts. Ball verwendet eine freie Form und verzichtet auf ein starres Reimschema, wodurch der Rhythmus des Gedichts organisch und an die beschriebenen Ereignisse angepasst ist. Die fast ekstatische Sprache spiegelt die Begeisterung und den Überschwang wider, mit denen der Morgen und seine göttliche Verkörperung gefeiert werden. Das Gedicht ist ein Fest der Kreativität und des Lebens.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.