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Der ewige Jude

Von

Ich wandre sonder Rast und Ruh,
Mein Weg führt keinem Ziele zu;
Fremd bin ich in jedwedem Land,
Und überall doch wohlbekannt.

Tief in dem Herzen klingt ein Wort,
Das treibt mich fort von Ort zu Ort;
Ich spräch′s nicht aus, nicht laut, nicht leis,
Sollt′ ewge Ruh auch sein der Preis.

Es wärmt mich nicht der Sonne Licht,
Des Abends Tau, er kühlt mich nicht;
Ein lauer Nebel hüllt mich ein
In ewig gleichen Dämmerschein.

Kein Mensch sich je zu mir gesellt,
Es lacht kein Blick mir in der Welt:
Kein Vogel singt auf meinem Pfad,
Ob meinem Haupte rauscht kein Blatt.

So zieh ich Tag und Nacht einher,
Das Herz so voll, die Welt so leer;
Ich habe alles schon gesehn,
Und darf doch nicht zur Ruhe gehn.

Vom Felsen stürzt der Wasserfall,
Fort schäumt der Fluß im tiefen Tal;
Er eilt so froh der ewgen Ruh,
Dem stillen Ozeane zu.

Der Adler schwingt sich durch die Luft,
Verschwebend in des Äthers Duft;
Hoch in den Wolken steht sein Haus,
Auf Alpenspitzen ruht er aus.

Der Delphin durch die Fluten schweift,
Wenn in die Bucht der Schiffer läuft;
Und nach dem Sturm im Sonnenschein
Schläft er auf Wellenspiegeln ein.

Die Wolken treiben hin und her,
Sie sind so matt, sie sind so schwer;
Da stürzen rauschend sie herab,
Der Schoß der Erde wird ihr Grab.

Der müde Wandrer dieser Welt,
Ein sicher Ziel ist ihm gestellt.
Was klagt er ob des Tages Not?
Vor Nacht noch holt ihn heim der Tod.

O Mensch, der du den Lauf vollbracht,
Und gehest ein zur kühlen Nacht,
Bet, eh du tust die Augen zu,
Für mich um Stunde Ruh!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der ewige Jude von Wilhelm Müller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der ewige Jude“ von Wilhelm Müller ist eine tiefgründige Reflexion über die menschliche Existenz, insbesondere über das Gefühl der ewigen Rastlosigkeit und Entfremdung. Es greift das bekannte Motiv des Ewigen Juden auf, einer mythischen Figur, die dazu verdammt ist, für immer zu wandern, ohne Ruhe zu finden. Das Gedicht benutzt dieses Bild, um die existenzielle Leere und das Sehnen nach Erlösung darzustellen, die den Protagonisten begleiten.

Müller verwendet eine Reihe von Bildern aus der Natur – den Wasserfall, den Adler, den Delphin, die Wolken und den müden Wanderer der Welt – um den Kontrast zwischen dem rastlosen Leben des Ewigen Juden und der natürlichen Ordnung zu verdeutlichen, in der alles seinen Frieden findet. Während die Naturgesetze mit ihren Zyklen von Bewegung und Ruhe in Einklang stehen, ist der Jude von dieser Harmonie ausgeschlossen. Seine innere Zerrissenheit wird durch die metaphorische „ewig gleichen Dämmerschein“ ausgedrückt, der ihn umhüllt, und durch die „Welt so leer“, die er trotz seiner unendlichen Wanderungen wahrnimmt.

Die zentrale Botschaft des Gedichts liegt in der Gegenüberstellung von Leben und Tod. Der Ewige Jude, der alles gesehen hat und alles kennt, ist unfähig, zur Ruhe zu kommen. Er bittet am Ende, kurz bevor der Blick zugemacht werden kann, um ein Gebet für eine Stunde Ruhe. Das Gedicht kulminiert in der Bitte an einen Menschen, der seinen Lebensweg vollendet hat, für ihn um Ruhe zu bitten. Diese Bitte ist ein Ausdruck des tiefen Verlangens nach Erlösung und Frieden, der Sehnsucht nach dem Ende der Rastlosigkeit und dem Eintritt in einen Zustand der Ruhe und des Vergessens.

Die Verwendung von einfachen, aber eindringlichen Bildern und einer klaren, fast volksliedhaften Sprache verstärkt die emotionale Wirkung des Gedichts. Die Struktur, die sich in jeder Strophe wiederholt (Beschreibungen des Wanderers, Beschreibungen der Natur, die zu einer Beschreibung der Ruhe führt), erzeugt ein Gefühl von Monotonie, das die Rastlosigkeit des Protagonisten widerspiegelt. Der Wechsel zwischen der Beschreibung der Welt und der Beschreibung des Ichs, verstärkt die innere Zerrissenheit und die Isolation des ewigen Juden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.