Der Beherrschte
Auf einem hohen Berge ging ich, als
Mir Kunde ward, sie hätten dich gefunden
Und mir zur Beute dich mit Laubgewind
Am Turm in meinem Garten festgebunden.
Ich nahm den Heimweg mit gehaltnem Schritt,
Wie eine Flamme mir zur Seite flog
Das Spiegelbild von deinem offnen Haar
Und deinem Mund, der sich im Zürnen bog.
Wie eine Flamme. Aber ich war stolz,
Und ruhig schreitend spähte ich im Weiher
Das Spiel des Fisches, der das Dunkel sucht,
Und überm Wald den Horst von einem Geier.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Beherrschte“ von Hugo von Hofmannsthal beschreibt die innere Auseinandersetzung eines Mannes, der scheinbar die Kontrolle über seine Gefühle und die erotische Anziehungskraft einer Frau zu besitzen scheint. Das Gedicht beginnt mit der Nachricht, dass die Geliebte gefangen und in seinem Garten an einem Turm angebunden wurde. Diese Nachricht löst keine unmittelbare Freude oder Erleichterung aus, sondern einen ruhigen, beinahe distanzierten Heimweg.
Die zweite Strophe offenbart die innere Zerrissenheit des Protagonisten. Obwohl er äußerlich Kontrolle bewahrt, wird er von dem „Spiegelbild“ ihrer Haare und ihres zornigen Mundes verfolgt. Dieses Bild gleicht einer Flamme, die ihn begleitet, was die Intensität und Unbändigkeit seiner Leidenschaft verdeutlicht. Die metaphorische Verwendung der „Flamme“ steht für die brennende Sehnsucht und die Unberechenbarkeit der Emotionen, die er versucht zu beherrschen.
In der dritten Strophe manifestiert sich der Stolz des Mannes. Er beschreibt seine ruhige Gangart und beobachtet das Spiel des Fisches im Weiher und den Horst des Geiers. Diese Bilder der Natur, die das Dunkel suchen und sich über der Landschaft erheben, spiegeln seine eigene innere Haltung wider. Der Fisch, der die Tiefe sucht, symbolisiert vielleicht seine eigene Neigung zur introspektiven Betrachtung, während der Geier als Symbol für Überlegenheit und Macht interpretiert werden kann. Der Mann scheint sich also in seiner scheinbaren Beherrschung über die Situation zu erheben.
Die zentrale Thematik des Gedichts ist die Frage nach Kontrolle und Begierde. Der Protagonist befindet sich in einem Konflikt zwischen dem Wunsch nach Dominanz und der erotischen Anziehungskraft der Frau. Er versucht, seine Leidenschaft mit Stolz und Beobachtungsgabe zu zügeln. Das Gedicht lässt jedoch offen, ob diese Beherrschung von Dauer ist oder nur eine Fassade, die in der Auseinandersetzung mit der Frau letztlich zerbrechen wird. Hofmannsthal spielt geschickt mit der Ambivalenz der menschlichen Natur, die zwischen Kontrolle und Verlangen hin- und hergerissen ist.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.