Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , ,

Den Kranken

Von

Im Griechenlande, bei den großen Alten,
Den geistig freien, pries man als beglückt
Den Mann, dem von des Schicksals ernstem Walten
Ein Leid voll Segen ward auf′s Haupt gedrückt.
Nicht war dies kranke Lust an Schmerz und Wunden –
Wo blühte schöner heitrer Sinn und Geist?
Nein, Weisheit war es, welche tief empfunden,
Wie ernst, bedeutsam, was da Leben heißt.

Nicht feig erliegen, selbstbewußt es tragen,
Wie eine Freude nach der andern weicht,
Kann er′s, der nie geübt sich im Entsagen,
Dem Blüthen nur das Glück stets dargereicht?
Ein hoher Segen aber ruht auf Schmerzen,
Und, wie die Perl′ im dunklen Meeresschacht
Sich formt und bildet, wächst im Menschenherzen
Ein edler Schatz aus finstrer Leidensnacht.

Der Seele Ruhe, die sich still begnügend
Nicht mehr, als ihr beschiednes Theil begehrt,
Der freie Geist, der nie sich selbst belügend,
Ein jedes Ding ermißt nach ächtem Werth,
Und auch ein Herz voll Demuth und voll Liebe
Und voll Geduld für sie, die schwächer sind,
O, Perle reinster Menschlichkeit, wer bliebe
Gern frei von Leid, wenn so man dich gewinnt?

O, Allen diesen Trost, die schwere Stunden
Zu den Gesellen einer Noth gemacht:
Wie manches Herz hat sich zurückgefunden
Aus lautem Tag in stiller Leidensnacht.
Von allen Kronen, die die Erde schmücken
Ist eine einz′ge nur von ächtem Werth,
Lass′ sie geduldig auf das Haupt dir drücken,
Die Dornenkrone, die im Schmerz verklärt!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Den Kranken von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Den Kranken“ von Luise Büchner ist eine tiefgründige Betrachtung über das Leiden und dessen Wert für die menschliche Entwicklung. Das Gedicht nimmt seinen Ausgangspunkt bei den alten Griechen, die denjenigen als glücklich ansahen, der durch das Schicksal mit Leid konfrontiert wurde. Dies wird jedoch nicht als masochistische Lust am Schmerz verstanden, sondern als eine Quelle der Weisheit, die das Leben in seiner Ernsthaftigkeit und Bedeutung erkennen lässt. Büchner betont, dass wahres Glück nicht im Vermeiden von Leid gefunden wird, sondern im selbstbewussten Tragen und Überwinden desselben.

Der zweite Abschnitt des Gedichts vertieft die Bedeutung des Leidens. Es wird betont, dass wahres Glück nicht durch das Aufgeben, sondern durch die Erfahrung und das Annehmen von Schmerz erlangt wird. Das Gedicht vergleicht dies mit der Entstehung einer Perle im dunklen Meer – eine Metapher, die die transformative Kraft des Leidens verdeutlicht. So wie die Perle aus der Dunkelheit und den Widrigkeiten des Meeres entsteht, so wächst im Herzen des Menschen ein „edler Schatz“ aus der „finstrer Leidensnacht“. Das Leid wird also als notwendige Bedingung für die Reifung und Läuterung der menschlichen Seele dargestellt.

Im dritten Teil des Gedichts werden die Früchte des Leidens aufgezeigt. Es geht um die „Seele Ruhe“, die mit dem „Theil“ zufrieden ist, den man erhält. Dazu gehört auch der freie Geist, der sich selbst nicht belügt, und ein Herz voller Demut, Liebe und Geduld für die Schwächeren. Büchner preist die „Perle reinster Menschlichkeit“, die im Leid geboren wird, und stellt die rhetorische Frage, wer frei von Leid sein möchte, wenn es diese wertvollen Eigenschaften hervorbringen kann.

Im letzten Abschnitt wendet sich das Gedicht an diejenigen, die schwere Zeiten durchgemacht haben. Es tröstet mit dem Gedanken, dass viele Herzen aus der „lauten“ Welt in die „stille Leidensnacht“ zurückgefunden haben. Abschließend wird die Dornenkrone als die einzige Krone von echtem Wert gepriesen und dazu aufgerufen, sie geduldig zu akzeptieren. Diese Metapher, die an die Leiden Jesu erinnert, unterstreicht die erlösende Kraft des Leidens und die Möglichkeit der Verklärung durch Schmerz. Das Gedicht plädiert also für eine aktive Auseinandersetzung mit dem Leid, die zur inneren Reife und zur wahren Menschlichkeit führt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.