Das Wunder im Kornfeld
Der Knecht reitet hinten, der Ritter vorn,
Rings um sie woget das blühende Korn . . .
Und wie Herr Attich herniederschaut,
Da liegt im Weg ein lieblich Kind,
Von Blumen umwölbt, die sind betaut,
Und mit den Locken spielt der Wind.
Da ruft er dem Knecht: »heb auf das Kind!« –
Absteigt der Knecht und langt geschwind:
»»O, welch ein Wunder! – Kommt daher!
Denn ich allein erheb es nicht.«« –
Absteigt der Ritter, es ist zu schwer;
Sie heben es alle beide nicht!
»Komm Schäfer!« – sie erhebens nicht!
»Komm Bauer!« – sie erhebens nicht!
Sie riefen jeden der da war,
Und jeder hilft: – sie hebens nicht!
Sie stehn umher, die ganze Schar
Ruft: »Welch ein Wunder, wir hebens nicht!«
Und das holdselige Kind beginnt:
»Laßt ruhen mich in Sonn′ und Wind:
Ihr werdet haben ein fruchtbar Jahr,
Daß keine Scheuer den Segen faßt:
Die Reben tropfen von Moste klar,
Die Bäume brechen von ihrer Last!
»Hoch wächst das Gras vom Morgentau,
Von Zwillingkälbern hüpft die Au;
Von Milch wird jede Gölte naß,
Hat jeder Arm′ genug im Land.
Auf lange füllt sich jedes Faß!«
So sang das Kind da und – verschwand.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Wunder im Kornfeld“ von August Kopisch erzählt eine allegorische Geschichte, die eine tiefe Botschaft über die Bedeutung von Demut, Dankbarkeit und dem Einklang mit der Natur vermittelt. Ausgangspunkt ist die Entdeckung eines wunderschönen Kindes, das inmitten eines blühenden Kornfeldes liegt. Die Unmöglichkeit, das Kind zu heben, selbst durch die vereinten Anstrengungen verschiedener Personen, unterstreicht die Übernatürlichkeit und das Geheimnisvolle, das mit der Erscheinung des Kindes verbunden ist.
Das Kind, umgeben von Blumen und Wind, verkörpert die Natur selbst oder eine göttliche Manifestation des Fruchtbarkeitsgedankens. Seine Unberührbarkeit und die Unfähigkeit, es zu bewegen, symbolisieren die Unantastbarkeit und die spirituelle Qualität der Natur. Die Tatsache, dass weder Ritter noch Knecht, Schäfer oder Bauer das Kind heben können, deutet darauf hin, dass man die Segnungen der Natur nicht durch physische Kraft oder gesellschaftliche Hierarchie erlangen kann. Es ist vielmehr eine innere Haltung der Dankbarkeit und des Respekts erforderlich.
Die Worte des Kindes, das einen Segen für ein fruchtbares Jahr verheißt, enthüllen die eigentliche Botschaft des Gedichts. Das Kind verspricht eine reichliche Ernte, überschwänglichen Reichtum und Fülle, wenn man es in Frieden lässt und seinen natürlichen Lauf respektiert. Dies unterstreicht die Idee, dass wahre Ernte und Wohlstand aus der Harmonie mit der Natur und einer Haltung der Dankbarkeit für ihre Gaben resultieren. Das Verschwinden des Kindes nach seiner Botschaft verdeutlicht, dass die wahre Essenz des Wunders nicht in seiner physischen Präsenz liegt, sondern in den versprochenen Segnungen und der zugrunde liegenden Botschaft.
Das Gedicht ist in einer einfachen, volkstümlichen Sprache verfasst, die zur direkten Ansprache der Leser dient. Die wiederholten Fragen und die kollektive Reaktion auf das Wunder erzeugen eine Atmosphäre der Ehrfurcht und des Staunens. Kopisch nutzt die Bilder des Kornfeldes, der Blumen, des Windes und der Fruchtbarkeit, um eine lebendige und anschauliche Szene zu kreieren, die die Leser in die allegorische Welt eintauchen lässt. Die Botschaft des Gedichts ist zeitlos und universell gültig: Wahre Fülle und Glück kommen nicht von äußerlicher Kraft oder materiellem Reichtum, sondern aus dem Respekt vor der Natur und einer dankbaren Haltung.
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Lizenz und Verwendung
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