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Das kananäische Weib

Von

Als der Herr in Südons Land gekommen,
Naht ein kananäisch Weiblein sich.
»Herr!« spricht sie in Demut und in Frommen,
»Herr! erbarme meiner Tochter dich!
Sieh, sie liegt daheim in großen Peinen,
Denn es wohnt in ihr ein böser Geist.«
Und voll Trauer hebt sie an zu weinen,
Als der Herr sie strenge von sich weist.

Doch sie schaut in seiner Augen Prachten,
Und ihr treues Herz bleibt ungeschreckt,
Einem Hündlein gleich will sie sich achten,
Das die Krümlein von der Erde leckt,
Ihre Demut hat sich durchgerungen:
»Weib, dein Glaub′ hat dir geholfen«, spricht
Jesu süße Stimme, und bezwungen
Weicht der finstre Geist dem Gnadenlicht.

Kann nur Demut uns den Segen bringen,
Und ich schnöder Wurm der Sterblichkeit
Meine noch, es müsse mir gelingen,
Da ich doch von Demut noch so weit?
Hab′ ich nur ein kleines Leid getragen,
Einen Heller meiner großen Schuld,
Fühl′ ich gleich ein leises Wohlbehagen
Über meine Stärke und Geduld.

Seele mein, hast du denn ganz vergessen
Deiner Sünden, dunkler wie die Nacht,
Hast den Quell im Sande stolz gemessen
Und der weiten Wüste nicht gedacht?
Ach wie täuschte dich die Eigenliebe
Über dein Beginnen sonder Treu′,
Eine Mücke fängst du auf dem Siebe,
Das Kamel verschlingst du sonder Scheu.

Denkst wohl gar Verdienste zu gewinnen,
Wähnst um dich die Siegespalmen grün;
Ach, was du auch immer magst beginnen,
Deiner Kräfte äußerstes Bemühn,
Könntest tausend Jahr′ dem Herrn du dienen,
In Zerknirschung büßend fort und fort,
Deinen Frevel kannst du nimmer sühnen,
Gnade bleibt dein einz′ges Hoffnungswort.

Und wie wenig hast du nicht gelitten
In der Reue bittrer Läutrungsglut,
Und wie lau und schwächlich nicht gestritten
Gegen deiner innern Feinde Wut!
Kannst du eine Viertelstunde nennen,
Wo du ganz und gar dem Herrn gehört,
Keine Wünsche dich von Jesu trennen,
Kein Gedanke dein Gebet gestört?

Ach, mit jedem meiner Seufzer treten
Neue Sünden vor dein Angesicht.
Herr! Ich bin nicht wert, zu dir zu beten,
Schone mein, du starker Gott im Licht!
O! mich faßt ein ungeheurer Schrecken,
Daß ich so vermessen mich erkühnt,
Weh, mein ganzes Leben ist ein Flecken,
Jede Stunde hat den Tod verdient.

Dennoch, dennoch darfst du nicht verzagen,
Nicht in deines tiefsten Elends Drang,
Mußt die Schmerzen grimm, die in dir nagen,
Fesseln mit der Hoffnung süßem Zwang.
Jesus will es, und du mußt vollbringen,
Ob dich seine Milde fast zerdrückt,
Darfst nicht trotzend in Verzweiflung ringen,
Wie der eigne Wille dich berückt.

Wie der Pharus an dem Seegestade
Frieden leuchtet durch der Stürme Wut,
Strahlt so mildiglich das Kreuz der Gnade,
Drum nur Mut, bedrängte Seele, Mut!
Halte fest in Demut und Vertrauen,
Seele mein, mit deiner ganzen Macht;
Siehe wie fünf rote Sonnen schauen
Jesu Wunden durch die wüste Nacht.

Und wie einst die Arche trug das Leben
Durch der Sünde allgemeinen Tod,
Wird das süße Kreuz mich rettend heben,
Wenn entsetzlich das Verderben droht.
Ja, ich will auf Jesu Worte bauen,
Seh ich gleich nicht ihn und nur die Nacht,
Fest nur, fest in Demut und Vertrauen,
Seele mein, mit deiner ganzen Macht!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das kananäische Weib von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das kananäische Weib“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine tiefgründige Reflexion über die Themen Demut, Sünde, Gnade und Hoffnung. Es nimmt das biblische Motiv des kananäischen Weibes auf, das Jesus um Hilfe für ihre von einem bösen Geist besessene Tochter bittet, und verwendet es als Ausgangspunkt für eine persönliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben und der Beziehung zu Gott.

Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung der biblischen Szene, in der das kananäische Weib durch ihre Demut und Beharrlichkeit Jesu Gnade erfährt. Dieser Abschnitt dient als Kontrast zum nachfolgenden, in dem die Dichterin ihre eigene Unzulänglichkeit und Sündhaftigkeit beklagt. Sie hinterfragt ihre Fähigkeit, Segen zu erlangen, da sie sich weit von der Demut entfernt fühlt, die das kananäische Weib auszeichnet. In den folgenden Strophen drückt sie ein Gefühl der Unwürdigkeit aus, da sie sich ihrer Sünden und Schwächen bewusst ist. Die Metapher des „Wurms der Sterblichkeit“ unterstreicht ihr Gefühl der Kleinheit und die Erkenntnis, dass sie ihren Verfehlungen nicht aus eigener Kraft entkommen kann.

Die Dichterin ringt mit der Verzweiflung angesichts ihrer Sünden, findet aber auch Hoffnung und Trost in der Gnade Gottes. Sie betont die Notwendigkeit, trotz des eigenen Versagens nicht zu verzagen, sondern sich an die Hoffnung zu klammern. Die zentralen Verse betonen die Bedeutung von Demut und Vertrauen in Gott. Die Hoffnung wird als der „süße Zwang“ dargestellt, der die Schmerzen lindern kann. Die Dichterin findet schließlich Trost und Stärkung durch das Kreuz Jesu. Das Kreuz wird als ein Leuchtfeuer der Gnade in der Dunkelheit der Verzweiflung dargestellt.

Das Gedicht endet mit einer bekräftigenden Botschaft der Hoffnung und des Glaubens. Die Autorin erinnert sich an die Geschichte der Arche Noah, die das Leben durch die Sintflut trug, und vergleicht dies mit der errettenden Kraft des Kreuzes Jesu. Sie bekräftigt ihren Entschluss, auf Jesu Worte zu bauen, auch wenn sie ihn nicht sieht, und betont die Bedeutung von Demut und Vertrauen als Fundament des Glaubens. Das Gedicht ist somit eine persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Glaubenswelt, die die Leser ermutigt, in Demut und Vertrauen Halt zu finden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.