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Colibri

Von

»Mein Nam’ ist Colibri, Mann von Hofe,
An Liebreiz ein klein Ungeheuer,
Der Königin Rose und ihrer Zofe,
Dem schönen Haideröslein, gleich theuer.

Ich summe Sonette zu ihrem Preise,
Umschwebe sie artig und dienstbeflissen;
Wer sich bewegt in so feinem Kreise,
Darf Anstand und fein Gewand nicht missen.

Ich trag’ ein Barett demantenflimmernd
Staatsweste, Höslein goldbrokaten,
Den Frack von grüner Seide schimmernd
Und ausgenäht mit bunten Nahten.

Mein Schnäblein ist mein Galadegen,
Mein Zünglein beweglich ist die Klinge;
Was ich mit jenem nicht darf erlegen,
Mit dieser ich’s sicherlich bezwinge.

Man sagt, ich sei treulos und flüchtig
Und meine Huldigung wetterwendig;
Untreu der einzlen Blume, die nichtig,
Bin treu ich der Lenzmacht, die beständig!

Ob sich die Meuter auch all’ verschworen,
Den milden Zepter der Rose werden,
Ich weiß es, nimmer zerbrechen die Thoren,
Das Reich des Lenzes nimmer gefährden.

Da schießt der Hagel mit silbernen Pfeilen,
Da stürmt mit kristall’nen Lanzen der Regen,
Da seht ihr den grimmen Winter eilen,
Des Reiches Farben hinwegzufegen.

Da reißt der Sturm, ein gemeiner Scherge,
Der Rose den Purpurmantel vom Leibe;
Sie weiß, daß, ob sie im Tod sich berge,
Ihr Stamm doch frischere Sprossen treibe.

Besudelt mir nicht des Hofkleids Stoffe
Im Trümmerfall, im Kampfgetose!
Der Ausgang aber wird gut, ich hoffe,
Die Rose ist todt, es lebe die Rose!«

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Colibri von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Colibri“ von Anastasius Grün ist eine charmante und ironische Selbstbeschreibung des gleichnamigen Kolibris, der sich als Lebemann und Dichter am Hofe der Königin Rose präsentiert. Der Text ist reich an bildhaften Vergleichen und Anspielungen, die eine gewisse Distanz zur eigenen Person und eine spielerische Haltung zum Leben erkennen lassen. Die Sprache ist gehoben, verspielt und voller Selbstironie, was den Leser dazu einlädt, die dargestellte Welt mit einem Augenzwinkern zu betrachten.

Der Kolibri, der sich selbst als „Mann von Hofe“ bezeichnet, präsentiert sich als ein Wesen von äußerster Eleganz und Gewandtheit. Seine prächtige Kleidung, beschrieben mit detaillierten Metaphern wie dem „Barett demantenflimmernd“ und der „Staatsweste, Höslein goldbrokaten“, unterstreicht seinen Anspruch auf eine gehobene gesellschaftliche Stellung. Seine „Zünglein“ wird zur „Klinge“, ein Hinweis auf seine Fähigkeit, mit Worten zu spielen und andere zu manipulieren. Doch trotz all seiner Pracht und seines Geschicks, deutet der Autor bereits subtil die Vergänglichkeit und Oberflächlichkeit dieser Welt an.

Die Verse des Gedichts offenbaren eine tiefere, philosophische Ebene. Der Kolibri gesteht seine „Treulosigkeit“ gegenüber einzelnen Blumen, aber er rechtfertigt sich damit, dass er „treu der Lenzmacht, die beständig“ ist. Hier wird die Vergänglichkeit der individuellen Schönheit mit der ewigen Wiederkehr des Frühlings und der Natur konfrontiert. Die im Gedicht beschriebene, dramatische Auseinandersetzung mit dem Winter, der versucht, das Reich der Rose zu zerstören, dient als Metapher für den Kreislauf von Werden und Vergehen.

Der letzte Vers des Gedichts, „Die Rose ist todt, es lebe die Rose!“, fasst die Kernbotschaft zusammen. Er betont die zyklische Natur des Lebens, in der der Tod nur ein vorübergehender Zustand ist und aus dem immer wieder Neues entsteht. Der Kolibri nimmt eine beobachtende, fast resignierte Haltung ein, die die Vergänglichkeit des Einzelnen akzeptiert, aber gleichzeitig die Hoffnung auf die Wiedergeburt des Lebens festhält. Es ist ein Gedicht über die Schönheit, die Unbeständigkeit und die ewige Wiederkehr, verpackt in die elegante Form eines gesellschaftlichen Porträts.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.