Charfreitag
Charfreitag ist′s – da trauert
Die ganze Christenheit,
Ich traure mehr als die Andern,
Mein Herz trägt doppelt Leid.
An diesem Tag der Schmerzen
Ein theures Herz mir starb,
Das beste und das treuste,
Das ich im Leben erwarb.
O, Christenheit, du trauerst
Nach heilig-frommem Brauch,
Weil dich noch sanft umwehet
Des Einz′gen Geisteshauch.
Wie aber muß ich klagen,
Die ich den Stern geseh′n,
Die Blumie, die so frühe
Zur Ruhe mußte geh′n;
Die ich den Geist vernommen,
Der von den Lippen quoll,
Die ich dies Herz besessen
Der reinsten Liebe voll.
Ein Stück von meiner Seele
Mit ihr zu Grabe zog,
Ein Stück von meinem Geiste
Mit ihr von dannen flog,
Ein Stück von meinem Herzen
Deckt wieder dunkles Land,
Weil sie allein von Allen
Es ganz und gar verstand.
Charfreitag – düstrer Freitag,
Bei deinem Glockenklang
Mag manches Herz erbeben
Und schlagen schwer und bang,
Mag manche Thräne fließen,
Und mancher Seufzer weh′n,
Doch Niemand kann dir trüber
Als ich in′s Antlitz seh′n!
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Charfreitag“ von Luise Büchner ist ein ergreifender Ausdruck persönlicher Trauer, der geschickt mit der kollektiven Trauer der Christenheit am Karfreitag verwoben wird. Die Dichterin unterstreicht durch einen Vergleich, dass ihr eigener Schmerz, der durch den Tod einer geliebten Person ausgelöst wurde, tiefer und intensiver ist als die allgemeine Trauer des Tages. Sie verbindet die religiöse Symbolik des Karfreitags, des Tages des Leidens Jesu, mit ihrer individuellen Erfahrung des Verlusts.
Der erste Teil des Gedichts etabliert die allgemeine Stimmung des Karfreitags, des Tages der Trauer. Der Einstieg, „Charfreitag ist’s – da trauert / Die ganze Christenheit“, setzt einen klaren Rahmen. Doch sofort wird dieser Rahmen durch die persönliche Trauer der Autorin erweitert: „Ich traure mehr als die Andern, / Mein Herz trägt doppelt Leid.“ Im zweiten Teil wird der Grund für ihre tiefe Trauer offenbart – der Tod einer geliebten Person, beschrieben als „theures Herz“ und „das beste und das treuste“. Die Verwendung von Adjektiven wie „theures“, „beste“ und „treuste“ unterstreicht die tiefe Verbundenheit und den Verlust. Die Autorin stellt ihre Trauer explizit der kollektiven Trauer der Christenheit gegenüber und betont die Intensität ihres persönlichen Verlusts.
Die folgenden Strophen vertiefen die persönliche Trauer und machen sie für den Leser greifbar. Die Autorin erinnert sich an die Momente der Verbindung mit der verstorbenen Person: „Die ich den Stern geseh’n, / Die Blumie, die so frühe / Zur Ruhe mußte geh’n“. Die Bilder von einem „Stern“ und einer „Blume“, die früh verblüht, sind Metaphern für die Schönheit und das frühe Ende der geliebten Person. Der Verlust wird als so tiefgreifend dargestellt, dass er einen Teil der Seele, des Geistes und des Herzens der Dichterin mit sich genommen hat. Dieser Verlust ist so allumfassend, dass die Autorin in der letzten Strophe des Gedichts schlussfolgert, dass niemand den Tag so trübe betrachten kann wie sie.
Luise Büchner nutzt eine einfache, aber eindringliche Sprache, um ihre Emotionen auszudrücken. Die Wiederholung von „Charfreitag“ und die Verwendung von Worten wie „Schmerzen“, „Leid“, „Klagen“, „Thräne“ und „Seufzer“ verstärken die melancholische Stimmung. Die klare Struktur des Gedichts, mit seinen regelmäßigen Reimen und dem gleichmäßigen Versmaß, verleiht der Trauer einen geordneten Ausdruck. Die Autorin verwebt geschickt die religiösen Motive des Karfreitags mit der persönlichen Trauer, wodurch ein Gedicht entsteht, das sowohl persönlich berührend als auch universell verständlich ist.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.