Cephalocereus Senilis
Auch diesem weißen Haar entstiegest Du
Unfaßbar, ein verhangenes Gesicht.
Ich beugte mich ganz überstürzt ihm zu
Von einem fremden vielgespaltnen Licht
Und sah darin Dich lange Wege schreiten,
Wechselnd gewandt in wechselndes Geschick,
Und sah Dich in die ungelebten Zeiten
Eingehn. Es losch mir der gesenkte Blick
Zuweilen so, daß Du wie in den Weihern
Ein Wolkenbild, ein fast verlornes, schwanktest.
Ich schlug das Auge auf aus seinen Schleiern
In das Bestimmte wieder. Und ich sah
Dir folgend ferne: Wohin Du gelangtest,
Stand meine Liebe groß und wartend da.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Cephalocereus Senilis“ von Maria Luise Weissmann ist eine kontemplative Auseinandersetzung mit Themen wie Vergänglichkeit, Identität und Liebe. Es ist ein komplexes Werk, das durch seine Bildsprache und die Metaphern eine tiefe emotionale Resonanz erzeugt. Der Titel, der sich auf eine Pflanzenart bezieht, weist bereits auf die Natur als Quelle der Inspiration und als Metapher für das menschliche Leben hin. Das „weiße Haar“ des Kaktus, der im Titel erwähnt wird, wird zum Ausgangspunkt für eine imaginäre Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft.
Die ersten beiden Strophen beschreiben eine Begegnung mit einem geheimnisvollen „Du“, dessen wahre Natur verborgen ist, wie das „verhangene Gesicht“ suggeriert. Die Dichterin beugt sich diesem Du zu, um in ihm „lange Wege schreiten“ zu sehen. Dieses „Du“ erlebt verschiedene Schicksale, was auf die Vielfalt und Unbeständigkeit des Lebens hinweist. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Zukunft, die „ungelebten Zeiten“ sowie der Gedanke an die ungenutzten Möglichkeiten. Der Verlust des Blicks in der zweiten Strophe, das „Eingehn“ in diese Zeiten, deutet auf eine Form des Verlusts oder der Sehnsucht nach etwas, das nicht mehr greifbar ist.
In der dritten Strophe wird die Realität kurzzeitig verzerrt, das „Du“ erscheint als „Wolkenbild“, welches im Wasser spiegelt. Es scheint zu verschwimmen, zu verblassen, bevor es wieder in die Realität zurückkehrt. Dies könnte ein Hinweis auf die Flüchtigkeit von Erinnerungen und die Schwierigkeit, vergangene Erfahrungen festzuhalten sein. Die Zeile „Ich schlug das Auge auf aus seinen Schleiern“ deutet auf eine Rückkehr in die Gegenwart hin, ein Lösen von den Visionen.
Das Gedicht endet mit einem Bekenntnis der Liebe, die dem „Du“ überallhin folgt und ihm auwartet. „Stand meine Liebe groß und wartend da“. Diese letzte Zeile vermittelt ein Gefühl von unerschütterlicher Treue und der anhaltenden Präsenz der Liebe, trotz aller Veränderungen und Unsicherheiten des Lebens. Die Liebe wird hier als Konstante dargestellt, die über die Zeit hinaus Bestand hat und als Anker dient. Die Interpretation deutet darauf hin, dass die Liebe hier nicht nur eine romantische, sondern eine umfassendere, existenzielle Kraft ist. Es könnte die Liebe zu sich selbst, zu anderen Menschen oder zur Idee des Lebens sein.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.