Bajazzo
Seltsam sind des Glückes Launen,
Wie kein Hirn sie noch ersann,
Daß ich meist vor lauter Staunen
Lachen nicht noch weinen kann!
Aber freilich steht auf festen
Füßen selbst der Himmel kaum,
Drum schlägt auch der Mensch am besten
Täglich seinen Purzelbaum.
Wem die Beine noch geschmeidig,
Noch die Arme schmiegsam sind,
Den stimmt Unheil auch so freudig,
Daß er′s innig liebgewinnt!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Bajazzo“ von Frank Wedekind ist eine Betrachtung über die Unberechenbarkeit des Glücks und die menschliche Fähigkeit, mit den Widersprüchen des Lebens umzugehen. Es zeichnet sich durch eine Mischung aus Staunen, Resignation und Lebensbejahung aus. Der Titel, der an einen Clown oder Possenreißer erinnert, deutet bereits auf eine ambivalente Haltung gegenüber dem Leben hin – eine Mischung aus Lachen und Weinen, die der Bajazzo als seine Lebensaufgabe versteht.
In der ersten Strophe wird die Launenhaftigkeit des Glücks hervorgehoben, so rätselhaft und unverständlich, dass der Sprecher kaum mehr weiß, ob er lachen oder weinen soll. Dieses Gefühl der Überforderung, des Nicht-Begreifens, ist ein zentrales Motiv des Gedichts. Es verdeutlicht die Erfahrung, dass das Leben oft unvorhersehbar ist und uns mit Situationen konfrontiert, die wir nicht kontrollieren können. Die Frage, ob man lachen oder weinen soll, bringt die Zerrissenheit des Menschen angesichts des Unverständlichen zum Ausdruck.
Die zweite Strophe greift das Motiv der Instabilität auf. Selbst der Himmel, der traditionell als Inbegriff von Beständigkeit gilt, steht hier „kaum“ auf festen Füßen. Dies unterstreicht die Vergänglichkeit und Unberechenbarkeit aller Dinge. Als Reaktion darauf wird dem Menschen nahegelegt, „täglich seinen Purzelbaum“ zu schlagen. Dies ist ein Aufruf, sich anzupassen, flexibel zu bleiben und sich dem Fluss des Lebens nicht zu widersetzen, sondern sich ihm mit einer gewissen Leichtigkeit und Spielerfreude hinzugeben. Der Purzelbaum symbolisiert hier die Fähigkeit, sich zu verändern, zu fallen und wieder aufzustehen.
Die abschließende Strophe verlagert den Fokus auf die Lebensfreude und die Fähigkeit, auch dem Unglück etwas Positives abzugewinnen. Wer körperlich beweglich und geistig flexibel ist, kann sogar „Unheil…freudig“ begrüßen und „innig liebgewinnen“. Hier wird die Fähigkeit des Menschen zur Resilienz thematisiert – die Fähigkeit, Widrigkeiten zu überwinden und sogar in ihnen etwas Wertvolles zu finden. Die scheinbare Paradoxie, das Unglück zu lieben, deutet auf eine tiefe Akzeptanz des Lebens mit all seinen Höhen und Tiefen hin. Wedekinds Gedicht ist somit ein Plädoyer für eine Haltung, die das Leben in seiner Gesamtheit, mit all seinen Widersprüchen und Unwägbarkeiten, bejaht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.