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Auf dem Meer

Von

(Bei einer Überfahrt nach Kopenhagen im Feuerjahr 1842.)

Allheilig Meer! Es donnern deine Klänge
Mir so gewaltig ins erschreckte Ohr,
Als brächen die verhaltnen Fluchgesänge
Begrabener Titanen draus hervor.

Sie stürzten sich hinab in deine Wogen,
Sie wollten sterben; aber um den Tod
Hat eine falsche Tiefe sie betrogen,
Sie tragen noch des Lebens öde Not.

Sie wissen′s jetzt: man kann nicht einzeln sterben;
Solange noch ein Zwerg auf Erden lebt,
Wird sich kein Gott den ganzen Tod erwerben,
Ob er im Meer, im Ätna sich begräbt.

Sie sehen jetzt die blöden Menschen kauern
Um ihres großen Daseins Aschenrest;
Da grollen sie: soll das denn ewig dauern?
Wie lange hält der Wurm die Wärme fest!

Uns kreiste doch das Ganze in den Adern,
Das jetzt zu Tropfen tausendfach zerrann;
Wir mußten dennoch mit den Göttern hadern,
Jetzt haben Legionen g′nug daran!

So grollen sie im Ätna und im Grunde
Des Meers, und nicken langsam wieder ein;
Doch nach Jahrhunderten ruft eine Stunde
Sie abermals zurück ins öde Sein.

Dann wähnen sie: nun ist die Welt am Ende,
Und dies Erwachen ist das letzte Weh!
Dann wirft der eine seine Feuerbrände,
Dann rast der andre in dem Schoß der See.

Ich ahnt′ es längst! Die grollenden Titanen
Sind aus dem Schlummer wieder aufgestört,
Und haben, an die alte Nacht zu mahnen,
Jedwedes Element der Welt empört.

War′s Empedokles, der sie Stadt der Elbe
Mit seiner Ätnafackel angesteckt?
Und ist′s ein andrer, oder ist′s derselbe,
Der zürnend jetzt den alten Meergeist weckt?

Wohlauf! Zurückgeschlagen sind die Flammen!
Schwellt denn in eins, ihr Meere, fern und nah,
Knüpft Wogentanz und Sternentanz zusammen,
Wie Äschylos es im Prometheus sah!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Auf dem Meer von Friedrich Hebbel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Auf dem Meer“ von Friedrich Hebbel ist eine düstere Reflexion über den Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt, eingebettet in die Szenerie einer Schiffsreise. Es ist von einer tiefen Melancholie und einem Gefühl der Unentrinnbarkeit durchzogen, wobei die titanischen Kräfte der Natur als Metaphern für die ewigen, unaufhaltsamen Prozesse der Welt dienen. Der Dichter verbindet hier eine persönliche Erfahrung – die Überfahrt nach Kopenhagen – mit einer universalen Betrachtung des menschlichen Daseins und der Frage nach dem Sinn von Leben und Tod.

Die Titanen, einst in die Tiefen gestürzt, werden als Verkörperung der ewigen Unruhe und des Leidens dargestellt. Sie können nicht vollständig sterben, sondern sind dazu verdammt, in einem endlosen Kreislauf von Schlaf, Erwachen und erneuter Zerstörung gefangen zu sein. Dies spiegelt die menschliche Erfahrung wider, das Wissen um das eigene Sterben, die Sehnsucht nach Erlösung und die Unfähigkeit, dem Kreislauf zu entkommen. Die Naturereignisse, wie das Donnern des Meeres und die Assoziation mit dem Ätna-Vulkan, verstärken die gewaltige und unaufhaltsame Kraft, die diese Zyklen antreibt.

Die Sprache des Gedichts ist kraftvoll und bildreich, geprägt von dunklen Metaphern und apokalyptischen Visionen. Das „Allheilige Meer“ wird zum Schauplatz titanischer Kämpfe und des ewigen Leidens. Die Bilder von „Feuerbränden“ und aufgewühlten Elementen erzeugen eine Atmosphäre des Chaos und der Zerstörung. Hebbel verwendet die antike griechische Mythologie, insbesondere die Titanen, als Vehikel, um seine existenzialistischen Ideen auszudrücken. Der Bezug auf Empedokles, der der Überlieferung nach in den Ätna sprang, um sich in den Schoß des Vulkans zu stürzen, vertieft die thematische Verbindung von Leben und Tod, von Selbstzerstörung und Wiedergeburt.

Das Gedicht kulminiert in einem Aufruf zur Vereinigung der Elemente und einer Vision von einem „Wogentanz“ und „Sternentanz“, die an Äschylos‘ Prometheus erinnern. Dies könnte als ein Versuch interpretiert werden, durch die Verschmelzung der Gegensätze eine Art von Transzendenz oder Einheit zu erreichen, selbst inmitten der ewigen Zyklen. Trotz der düsteren Grundstimmung des Gedichts scheint hier eine Hoffnung auf eine höhere Ordnung oder ein tieferes Verständnis des Lebens auf, die durch die Verbindung von Natur und Mythos angedeutet wird. Die endgültige Botschaft des Gedichts bleibt jedoch ambivalent, da die Titanen zwar kurzzeitig zur Ruhe kommen, aber wissen, dass sie zu einem späteren Zeitpunkt erneut erwachen werden.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.