Eines weiß ich, ob ihr mir auch grollt,
Daß ich stets das Beste nur gewollt!
Sprecht, warum war ich euch denn einst lieb,
Welch ein Reiz war′s, der euch zu mir trieb?
Schönheit blieb mir fern und Reichthum fehlt,
Witz und Geist ist Andern mehr erwählt,
Doch ein treues Herz und fester Muth
Für das Rechte und der Wahrheit Gut,
Liebe zu der Menschheit, die da klagt,
Und ein Geist, der nicht vor Mächt′gen zagt –
Dies allein ist′s, was mich liebenswerth
Machen konnte und zum Freund begehrt!
Und nun wundert ihr euch, daß ich heiß
Glühe für des Lebens höchsten Preis,
Und ihr scheltet, wenn ich laut und frei
Rede gegen Lüg′ und Tyrannei,
Scheltet, wenn mein Herz von Gram bewegt
Für der Menschheit ew′ge Rechte schlägt,
Wenn es mitkämpft in dem heil′gen Krieg
Für der Liebe großen Sieg! –
Was als Wahrheit ich erkannte rein,
Muß in′s Leben tragen ich hinein,
Künden dürfen, wie der Lerche Lied
Morgenfrisch zum freien Himmel flieht!
Wendet euch denn von mir – sonder Scheu
Steh′ ich einsam, doch mir selbst getreu!
An Viele
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An Viele“ von Luise Büchner ist eine leidenschaftliche und selbstbewusste Rechtfertigung ihrer Lebensweise und ihrer Werte. Es ist ein Appell an die Leser, der sowohl Trost als auch Kritik beinhaltet. Die Dichterin reflektiert über die Gründe, warum sie einst beliebt war und präsentiert eine ehrliche Selbstanalyse. Sie benennt ihre Stärken – ein treues Herz, Mut, Liebe zur Menschheit und Unerschrockenheit – und grenzt sich von Oberflächlichkeiten wie Schönheit, Reichtum und äußerem Glanz ab.
Das Gedicht gipfelt in einer Kritik an den Adressaten, die sich von ihr abgewandt haben oder ihre Überzeugungen missbilligen. Büchner wirft ihnen vor, sich zu wundern, dass sie sich für die „höchsten Preise“ des Lebens einsetzt und gegen Ungerechtigkeit und Tyrannei kämpft. Der „Gram“ über die Leiden der Menschheit und der Kampf für die „ew’gen Rechte“ sind für sie untrennbar mit ihrer Identität verbunden. Sie ist entschlossen, ihre Wahrheit in die Welt zu tragen, so frei und ungebunden wie das Lied der Lerche.
Die Sprache ist direkt und emotional, wobei die Dichterin sowohl ihre Überzeugungen verteidigt als auch ihre Enttäuschung über die Reaktionen anderer zum Ausdruck bringt. Der Gebrauch von rhetorischen Fragen und die Betonung des „ich“ unterstreichen ihre Individualität und Entschlossenheit. Die Bilder des „treuen Herzens“ und des „heil’gen Kriegs“ zeigen eine tiefe Verbundenheit mit moralischen Idealen, während die Metapher von der Lerche die Freiheit und Unabhängigkeit symbolisiert, die sie für sich beansprucht.
Das Gedicht endet mit einem trotzigen, aber auch gelassenen Bekenntnis zur eigenen Authentizität. Büchner akzeptiert die Einsamkeit, die sich aus ihrem unerschütterlichen Festhalten an ihren Werten ergeben kann. Sie demonstriert eine innere Stärke, indem sie sich selbst treu bleibt, unabhängig von der Zustimmung oder Ablehnung anderer. Dieses Bekenntnis zeugt von einem tiefen Verständnis der eigenen Prinzipien und einer bemerkenswerten Unabhängigkeit des Geistes.
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