An Luna
Schwester von dem ersten Licht,
Bild der Zärtlichkeit in Trauer!
Nebel schwimmt mit Silberschauer
Um dein reizendes Gesicht;
Deines leisen Fußes Lauf
Weckt aus tagverschloßnen Höhlen
Traurig abgeschiedne Seelen,
Mich und nächt′ge Vögel auf.
Forschend übersieht dein Blick
Eine großgemeßne Weite.
Hebe mich an deine Seite!
Gib der Schwärmerei dies Glück!
Und in wollustvoller Ruh′
Säh der weitverschlagne Ritter
Durch das gläserne Gegitter
Seines Mädchens Nächten zu.
Des Beschauens holdes Glück
Mildert solcher Ferne Qualen;
Und ich sammle deine Strahlen,
Und ich schärfe meinen Blick.
Hell und heller wird es schon
Um die unverhüllten Glieder,
Und nun zieht sie mich hernieder,
Wie dich einst Endymion.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An Luna“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine poetische Anrufung und Verehrung des Mondes, hier personifiziert als Luna. Es ist von einem Gefühl der Sehnsucht, Kontemplation und einem tiefen Wunsch nach Nähe und Verbindung geprägt. Das lyrische Ich wendet sich an die Mondgöttin, zunächst durch die Anrede „Schwester von dem ersten Licht“, was eine intime Beziehung andeutet und Luna als die Schwester des Sonnenlichts, also des Lebens und der Klarheit, etabliert. Die Beschreibung des Mondes als „Bild der Zärtlichkeit in Trauer“ deutet auf eine Melancholie hin, die mit der Erscheinung des Mondes einhergeht und eine Atmosphäre von Geheimnis und stillem Leid schafft.
Das Gedicht entwickelt sich von der Beschreibung der äußeren Erscheinung des Mondes zu einer Reflexion über dessen Einfluss auf die menschliche Psyche und die Natur. Die Zeilen „Nebel schwimmt mit Silberschauer / Um dein reizendes Gesicht“ beschreiben eine romantische, fast verträumte Szenerie, die die Schönheit und das Mysterium des Mondes hervorhebt. Durch die Erwähnung von „traurig abgeschiednen Seelen“ und „nächt’ge Vögel“ wird eine Verbindung zwischen dem Mond und dem Bereich des Übernatürlichen, der Nacht und der Melancholie hergestellt. Luna wird so zur Inspirationsquelle für Träume, Sehnsüchte und die Auseinandersetzung mit der eigenen Gefühlswelt.
In der zweiten Strophe äußert das lyrische Ich den Wunsch nach einer tieferen Verbindung mit Luna. Die Bitte „Hebe mich an deine Seite! / Gib der Schwärmerei dies Glück!“ drückt den Wunsch nach einer transzendenten Erfahrung aus, nach der Auflösung der irdischen Beschränkungen und dem Eintauchen in eine Welt der Fantasie und des Glücks. Die Vorstellung des Ritters, der aus der Ferne seine Geliebte betrachtet, dient als Metapher für die Sehnsucht nach unerreichbarer Liebe und die Möglichkeit, Trost in der Betrachtung des Schönen zu finden.
Die abschließende Strophe führt die thematische Entwicklung des Gedichts fort und gipfelt in einer intensiven Verschmelzung des lyrischen Ichs mit dem Mond. Durch die Aufnahme von „Hell und heller wird es schon / Um die unverhüllten Glieder“ wird die Wahrnehmung des Mondes als erhellend und befreiend dargestellt. Die letzte Zeile „Und nun zieht sie mich hernieder, / Wie dich einst Endymion“ verweist auf die griechische Mythologie und die Liebe zwischen Luna und Endymion, die eine starke sexuelle Konnotation enthält, was die Hingabe des lyrischen Ichs an die Macht des Mondes und die Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Göttlichen unterstreicht. Insgesamt ist das Gedicht eine feierliche Ode an den Mond, die durch ihre emotionale Tiefe und poetische Schönheit besticht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.