An ein goldnes Herz, das er am Halse trug
Angedenken du verklungner Freude,
Das ich immer noch am Halse trage,
Hältst du länger als das Seelenband uns beide?
Verlängerst du der Liebe kurze Tage?
Flieh′ ich, Lili, vor dir! Muß noch an deinem Bande
Durch fremde Lande,
Durch ferne Täler und Wälder wallen!
Ach, Lili′s Herz konnte so bald nicht
Von meinem Herzen fallen.
Wie ein Vogel, der den Faden bricht
Und zum Walde kehrt,
Er schleppt des Gefängnisses Schmach
Noch ein Stückchen des Fadens nach;
Er ist der alte freigeborne Vogel nicht,
Er hat schon jemand angehört.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An ein goldnes Herz, das er am Halse trug“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine melancholische Reflexion über die Nachwirkung einer vergangenen Liebe und die damit verbundene Sehnsucht nach der verlorenen Zuneigung. Der Titel deutet auf ein konkretes Symbol der Erinnerung hin, ein goldenes Herz, das der Dichter am Hals trägt und das ihn ständig an die geliebte Lili erinnert. Diese physische Präsenz des Schmucks verstärkt die Intensität des Gefühls und die Unfähigkeit, die vergangene Liebe vollständig hinter sich zu lassen.
Die ersten Verse drücken die Frage nach der Beständigkeit der Erinnerung aus: Hält die Erinnerung an die Freude länger als das eigentliche Band der Seele? Der Dichter fragt sich, ob das goldene Herz und die damit verbundene Sehnsucht die kurzen Tage der Liebe verlängern, was auf eine gewisse Bitterkeit hindeutet. Die Anrede „Lili“ offenbart die Identität der Geliebten und die damit verbundene Sehnsucht nach ihr. Die Zeilen deuten auf eine Trennung hin, die er durch die Ferne und die Flucht vor Lili erlebt, was die Intensität des Schmerzes noch verstärkt.
Die Metapher des Vogels im zweiten Teil des Gedichts ist besonders aussagekräftig. Der Vogel, der seinen Faden reißt und in den Wald zurückkehrt, symbolisiert den Dichter, der sich von der Bindung an Lili befreien möchte. Doch die Schmach des Gefängnisses, der verlorenen Liebe, haftet ihm weiterhin an. Er schleppt ein „Stückchen des Fadens nach“, was verdeutlicht, dass er die Vergangenheit nicht vollständig ablegen kann. Die Erkenntnis, dass der Vogel „schon jemand angehört“ hat, unterstreicht die Unumkehrbarkeit der Situation und die Tatsache, dass die Liebe und die Freiheit des Dichters für immer durch die Erfahrung geprägt sind.
Goethes Gedicht ist somit eine feinfühlige Auseinandersetzung mit den komplexen Emotionen, die mit der Trennung und der Erinnerung an eine vergangene Liebe verbunden sind. Das goldene Herz wird zum greifbaren Symbol der Sehnsucht, während der Vogel als Metapher die Unfähigkeit darstellt, die Vergangenheit vollständig zu überwinden. Das Gedicht zeugt von Goethes Meisterschaft in der Darstellung menschlicher Gefühle und der Fähigkeit, universelle Erfahrungen in poetischen Bildern auszudrücken.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.