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An die Türen will ich schleichen…

Von

An die Türen will ich schleichen,
Still und sittsam will ich steh′n;
Fromme Hand wird Nahrung reichen,
Und ich werde weitergehn.
Jeder wird sich glücklich scheinen,
Wenn mein Bild vor ihm erscheint;
Eine Träne wird er weinen,
Und ich weiß nicht, was er weint.

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Gedicht: An die Türen will ich schleichen... von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die Türen will ich schleichen…“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine kurze, aber tiefgründige Reflexion über das Schicksal des Dichters oder Künstlers und dessen Beziehung zur Gesellschaft. Es zeichnet das Bild eines Menschen, der sich in Bescheidenheit und Stille der Welt nähert, jedoch eine tiefe, unbekannte Wirkung auf die Menschen ausübt.

Das Gedicht beginnt mit einer Beschreibung der physischen Annäherung. Der Dichter „will schleichen“ und „still und sittsam stehen“. Diese Worte deuten auf eine zurückhaltende, fast demütige Haltung. Er sucht keine Aufmerksamkeit, sondern scheint darauf angewiesen zu sein, von anderen versorgt zu werden („Fromme Hand wird Nahrung reichen“). Die metaphorische Bedeutung ist hier, dass der Künstler sich der Gesellschaft anpasst, um überhaupt gehört zu werden.

Der Wendepunkt des Gedichts liegt in der Reaktion der Menschen auf den Dichter. Ihr „Bild“ lässt sie „glücklich scheinen“, was auf die Schönheit oder Erhabenheit des Kunstwerks hindeutet, das die Menschen berührt. Doch gleichzeitig „weinen“ sie, was auf eine tiefere, ungreifbare Emotion hindeutet, die durch die Kunst ausgelöst wird. Diese Träne ist der Kern der Interpretation: Sie könnte Ausdruck von Melancholie, Erkenntnis, Sehnsucht oder auch einer Ahnung des Unvermeidlichen sein, das in der Kunst verborgen liegt. Der Dichter selbst ist sich der Ursache dieser Tränen „nicht bewusst“.

Goethe wirft mit diesen wenigen Versen Fragen nach der Rolle der Kunst und des Künstlers auf. Ist der Künstler nur ein Bittsteller, der auf die Gunst der Gesellschaft angewiesen ist? Oder ist er ein Vermittler von Emotionen, die tief in der menschlichen Seele verborgen liegen? Das Gedicht suggeriert, dass die Kunst eine Kraft besitzt, die sowohl Freude als auch Trauer auslösen kann, und dass der Künstler selbst nur teilweise die Tragweite seiner Schöpfungen versteht. Die Unwissenheit des Dichters über die Ursache der Tränen verdeutlicht die Komplexität der Kunst und ihre tiefgreifende, oft unergründliche Wirkung auf den Betrachter.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.