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Am See

Von

Leise wie ein Traumgesicht
Hält Erinn′rung mich umfangen,
Leise, wie die Morgenluft
Mir umspielet Stirn und Wangen.

Und der klare, blaue See
Blickt mich an wie Menschenaugen,
Daß ich möchte tief hinab
Mich in seine Fluthen tauchen.

Und der Alpenspitzen Glanz
Blickt mich an wie Menschenherzen,
Die so schroff und eisig kalt
Lohnen dem mit tausend Schmerzen,

Der sich ihnen froh genaht,
Da im ros′gen Alpenglühen
Sie, von fremdem Licht umstrahlt,
Schienen lebenswarm zu blühen.

O, Erinn′rung! flieh′ hinweg
Von den falschen Alpenhöhen,
Wasche in der blauen Fluth
Dich gesund von allen Wehen!

Such′ in ihrem feuchten Glanz
Jener Augen treue Klarheit,
Die du frei noch lieben kannst,
Und die stets dir blickten Wahrheit!

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Gedicht: Am See von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am See“ von Luise Büchner ist eine melancholische Reflexion über Erinnerung, Sehnsucht und die Vergänglichkeit menschlicher Beziehungen, eingebettet in eine Naturkulisse. Das lyrische Ich wird von der Erinnerung sanft umfangen, wie die Morgenluft, die über das Gesicht streicht. Diese sanfte Umarmung der Vergangenheit wird durch die Bilder des Sees und der Alpen verstärkt. Der See, der mit menschenähnlichen Augen verglichen wird, weckt den Wunsch nach Eintauchen, nach einem Auflösen im unendlichen Blau.

Die zweite und dritte Strophe wenden sich einer kritischeren Betrachtung der Erinnerung zu. Während der See eine beruhigende und einladende Präsenz darstellt, werden die Alpen, symbolisch für menschliche Beziehungen, als kalt und abweisend dargestellt. Der Glanz der Alpenspitzen, das „ros’gen Alpenglühen“, ist trügerisch. Er täuscht Lebenswärme vor, während die „Menschenherzen“ selbst „schroff und eisig kalt“ sind und denjenigen, die sich ihnen nähern, „tausend Schmerzen“ bereiten. Dieser Kontrast offenbart eine Enttäuschung über unerfüllte Hoffnungen und die Kälte menschlicher Beziehungen.

In der letzten Strophe wendet sich das lyrische Ich direkt an die Erinnerung. Es fordert sie auf, sich von den „falschen Alpenhöhen“ zu lösen und sich im See, der hier als Symbol für Reinheit und Wahrheit steht, zu reinigen. Der See repräsentiert die Möglichkeit, Trost und wahre Klarheit in der Natur und möglicherweise in ehrlichen Emotionen zu finden. Die „Augen treue Klarheit“ wird als Gegenentwurf zu den kalten „Menschenherzen“ gesehen. Die Autorin sucht eine Wahrheit, die sie frei lieben kann, ein Zustand, der in der menschlichen Welt versagt zu sein scheint.

Insgesamt ist das Gedicht eine Auseinandersetzung mit der ambivalente Natur der Erinnerung und der menschlichen Erfahrung. Es zeigt die Sehnsucht nach einer Idealwelt, die in der Realität unerreichbar scheint, und die Suche nach Trost und Wahrheit in der Natur. Das Spiel mit den Gegensätzen zwischen der trügerischen Schönheit der Alpen und der erfrischenden Klarheit des Sees spiegelt die innere Zerrissenheit und die Suche nach innerem Frieden wider.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.