Am Himmelstor
Mir träumt′, ich komm ans Himmelstor
Und finde dich, die Süsse!
Du sassest bei dem Quell davor
Und wuschest dir die Füsse.
Du wuschest, wuschest ohne Rast
Den blendend weissen Schimmer,
Begannst mit wunderlicher Hast
Dein Werk von neuem immer.
Ich frug: „Was badest du dich hier
Mit tränennassen Wangen?“ Du sprachst:
„Weil ich im Staub mit dir,
So tief im Staub gegangen.“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Am Himmelstor“ von Conrad Ferdinand Meyer ist eine ergreifende Auseinandersetzung mit den Themen Reue, Reinigung und der erhofften Wiedervereinigung im Jenseits. Der Dichter entwirft ein traumhaftes Szenario, in dem er am Himmelstor seine Geliebte wiedertrifft. Diese Vision ist jedoch von einer tieferen Symbolik geprägt, die über die bloße Romantik hinausgeht.
Die Beschreibung der Geliebten, die am Quell vor dem Himmelstor ihre Füße wäscht, ist von zentraler Bedeutung. Das ständige Waschen, ohne Rast, deutet auf einen Akt der Reinigung und Läuterung hin. Die „blendend weißen Füße“ stehen in Kontrast zum „Staub“, der die Welt des Irdischen symbolisiert, in der beide, der Dichter und seine Geliebte, tief involviert waren. Dies impliziert Schuld, Sünden oder Belastungen, die im Diesseits erfahren wurden und nun im Jenseits abgewaschen werden sollen. Die Tränen auf den Wangen der Geliebten unterstreichen die Schwere der erlebten Leiden und die Notwendigkeit der Reinigung.
Der Dialog zwischen dem Dichter und der Geliebten enthüllt die Beweggründe für dieses Reinigungsritual. Ihre Antwort, „Weil ich im Staub mit dir, / So tief im Staub gegangen“, ist von großer emotionaler Tiefe. Sie erkennt ihre gemeinsame Schuld oder ihren gemeinsamen Weg im Leben an, der sie in die Tiefen des irdischen Daseins geführt hat. Der „Staub“ steht hier für die Schwierigkeiten, die Fehler und die möglicherweise gemeinsam begangenen Sünden oder die gemeinsamen Erfahrungen, die sie im Leben gemacht haben. Die „Tränennassen Wangen“ und die „wunderliche Hast“ unterstreichen die Notwendigkeit der Reinigung und die Sehnsucht nach Erlösung.
Das Gedicht lässt sich als eine Metapher für die menschliche Sehnsucht nach Vergebung und Erlösung lesen. Die Begegnung am Himmelstor bietet eine Hoffnung auf einen Neuanfang, auf die Überwindung der Vergangenheit und die Möglichkeit einer ewigen Vereinigung. Meyer gelingt es, durch einfache, klare Bilder eine tiefgründige Botschaft zu vermitteln, die die Leser zum Nachdenken über ihre eigene Vergangenheit, ihre Fehler und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft anregt. Die Verwendung des Traumbildes verstärkt die surreale Atmosphäre und unterstreicht die emotionale Intensität des Gedichts.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.