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Am dritten Sonntage im Advent

Von

Evang.: Johannes sendet zu Christo

Auf keinen Andern wart′ ich mehr:
Wer soll noch Liebres kommen mir?
Wer soll so mild und doch so hehr
Mir treten an des Herzens Tür?
Wer durch des Fiebers Qual und Brennen
So liebreich meinen Namen nennen,
Ein Balsamträufeln für und für?

Du wußtest es von Ewigkeit,
Daß der Gedanken Übermaß,
Dem Sinn entzogner Herrlichkeit,
Zersprengen müßt′ mein Hirn wie Glas;
So kommst du niedrig meinesgleichen,
Wie zu der Armut Fromme schleichen,
Dich setzend wo der Bettler saß.

Wenn fast zum Schwindeln mich gebracht
Der wirbelnden Betrachtung Kreis,
Dann trittst du aus der Dünste Nacht,
Und deine Stimme flüstert leis:
»Hier bin ich, bin ich, woll′ mich fassen,
Dann magst du alles Andre lassen;
Auf meinem Kreuze liegt der Preis.«

O Stimme, immer mir bekannt,
O Wort, das stets verständlich mir,
Du legst mir auf der Liebe Band,
Und meine Schritte folgen dir!
In Liebe glaub′ ich, Liebesglauben
Fürwahr soll keine Macht mir rauben;
Geschlossen ist des Grübelns Tür.

Gehemmt die Jagd, durch scharfen Stein
Und Dornen hetzend meinen Fuß;
Ich ruh′ in deinem kühlen Hain
Und lausche deinem sanften Gruß.
Die Blinden sehn, die Kalten glühen,
Und aus des Irren Haupte ziehen
Der dumpfen Schatten Menge muß.

Ich folge dir zu Berges Höhn,
Wo Leben von den Lippen fließt,
Und deine Tränen darf ich sehn,
O tausendmal mit Heil gegrüßt;
Muß in Gethsemane erzittern,
Daß Schrecken Gottes Leib erschüttern,
Blutschweiße Gottes Stirn vergießt.

Er hat gehorsam bis zum Tod,
Ja, zu des Todes eitlem Graus,
Gekostet jede Menschennot
Und trank den vollen Becher aus:
So richte dich aus Dorn und Höhle,
Du meine angstgeknickte Seele;
Auch du nur trägst ein irdisch Haus.

Laß wanken denn die Türme grau
Und mische deine Tränen nur
Mit deines Heilands blut′gem Tau,
Gequälter Sklave der Natur;
Er, dessen Schweiß den Grund gerötet,
Er weiß es, wie ein Seufzer betet,
Mein Jesus, meine Hoffnungsau!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Am dritten Sonntage im Advent von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am dritten Sonntage im Advent“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine tiefgründige und persönliche Auseinandersetzung mit dem Glauben, der Erlösung und der menschlichen Suche nach Trost und Sinn. Es handelt von der Sehnsucht nach Christus, der in der Not und im Leid Trost spendet und den Weg zur Erlösung weist. Die Autorin verwebt dabei persönliche Erfahrungen mit religiösen Motiven und schafft so ein ergreifendes Bild des Glaubens als Quelle der Hoffnung und des Trostes in einer Welt voller Leiden.

Im ersten Teil des Gedichts drückt die Autorin ihre tiefe Sehnsucht nach Christus aus. Sie stellt Fragen nach der Ankunft des Erlösers und beschreibt die Suche nach jemandem, der ihr in der Not beistehen kann. Die Metapher der „Herzenstür“ verdeutlicht die persönliche Beziehung zu Christus, der als einziger in der Lage ist, die Qualen und das Brennen des Fiebers zu lindern. Der zweite Teil thematisiert die menschliche Schwäche und das Übermaß an Gedanken, die das Hirn „zersprengen“ können. Christus wird hier als jemand dargestellt, der sich den Leidenden zuwendet und ihnen Trost spendet, indem er sich demütig wie ein Bettler nähert.

Der dritte Teil des Gedichts führt die Begegnung mit Christus weiter aus. Die Stimme Christi wird als bekannt und verständlich beschrieben, als ein „Wort, das stets verständlich“ ist. Dieses Wort legt ein „Liebesband“ auf die Seele und führt die Schritte der Autorin. Die folgenden Strophen beschreiben die Transformation, die der Glaube bewirkt. Die Seele findet Ruhe und Geborgenheit, und die „Blinden sehn, die Kalten glühen“, was die heilende Wirkung des Glaubens verdeutlicht. Die Autorin folgt Christus auf die Berge und teilt sein Leid in Gethsemane, wo er für die Sünden der Menschheit leidet.

Das Gedicht gipfelt in der Erkenntnis der Bedeutung des Opfers Christi. Die Autorin identifiziert sich mit dem Leiden Christi, dem Gehorsam bis zum Tod, und der Überwindung des Todes. Sie fordert ihre eigene Seele auf, sich aus dem Leid zu erheben und die Tränen mit dem Blut des Heilands zu vermischen. Dies ist ein Ausdruck der tiefen Verbundenheit mit Christus und der Hoffnung auf Erlösung. Das Gedicht endet mit einem Gebet, das die Hoffnung auf Christus als Quelle der Hoffnung und der Erlösung bekräftigt. Droste-Hülshoffs Sprache ist reich an Metaphern und Bildern, die die Tiefe ihres Glaubens und die Komplexität ihrer spirituellen Suche widerspiegeln.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.