Alte Rose
Eine Rosenknospe war
Sie, für die mein Herz erglühte;
Doch sie wuchs, und wunderbar
Schoss sie auf zu voller Blüte.
Ward die schönste Ros im Land,
Und ich wollt die Rose brechen,
Doch sie wusste mich pikant
Mit den Dornen fortzustechen.
Jetzt, wo sie verwelkt, zerfetzt
Und verklatscht von Wind und Regen –
Liebster Heinrich bin ich jetzt,
Liebend kommt sie mir entgegen.
Heinrich hinten, Heinrich vorn,
Klingt es jetzt mit süssen Toenen;
Sticht mich jetzt etwa ein Dorn,
Ist es an dem Kinn der Schönen.
Allzu hart die Borsten sind,
Die des Kinnes Wärzchen zieren-
Geh ins Kloster, liebstes Kind,
Oder lasse dich rasieren.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Alte Rose“ von Heinrich Heine ist eine ironische Betrachtung über die Entwicklung einer Liebesbeziehung, die von anfänglicher Verehrung über Ablehnung bis hin zu einer unerwarteten Wiederannäherung und schließlich zur Ablehnung des neuen Zustands reicht. Es ist ein klassisches Beispiel für Heines Fähigkeit, sentimentale Themen mit einer Prise Sarkasmus und Humor zu versehen, wodurch das Gedicht eine tiefere, oft pessimistische Aussage über die Natur der Liebe und des Alterns erhält.
Die erste Strophe beschreibt die anfängliche Verehrung des lyrischen Ichs für die Geliebte, dargestellt als „Rosenknospe“. Diese Metapher deutet auf Jugend, Unschuld und das Potenzial für Schönheit hin. Die zweite Strophe zeigt jedoch die Ablehnung durch die Rose, die sich mit ihren Dornen verteidigt und den Annäherungsversuch des lyrischen Ichs abwehrt. Dies deutet auf ein Machtspiel und die Unfähigkeit, die Liebe zu erlangen, hin. Die Verwendung des Wortes „pikant“ verstärkt den ironischen Unterton, da die Abweisung auf eine gewisse Weise vergnüglich scheint.
Die dritte und vierte Strophe bilden den Kern der Ironie. Nach dem Verwelken der Rose, ihrer „Zerfetztheit“ und der „Verklatschtheit“ durch Wind und Regen – Symbole für das Altern und den Verlust der Attraktivität – ändert sich das Verhalten der Frau. Sie nähert sich nun dem lyrischen Ich, ruft seinen Namen „Heinrich“ und zeigt ihm ihre Zuneigung. Der vierte Vers betont die Ironie, wenn die „Dornen“ nun am Kinn der Frau zu finden sind, was die Umkehrung der Machtverhältnisse unterstreicht und das lyrische Ich als neuen Gewinner darstellt.
Die abschließende Strophe stellt die endgültige Ablehnung des lyrischen Ichs dar. Es empfindet die „Borsten“ der nun alternden Frau als „allzu hart“ und rät ihr, ins Kloster zu gehen oder sich rasieren zu lassen. Diese abschließenden Zeilen sind von beißendem Spott geprägt und zeigen, dass das lyrische Ich die veränderte Situation ablehnt. Die Ironie erreicht hier ihren Höhepunkt: Die Person, die einst begehrt wurde, ist nun abstoßend, und der Kreislauf von Liebe und Ablehnung, von Anziehung und Abstoßung, wird auf sarkastische Weise geschlossen. Das Gedicht zeigt so die Vergänglichkeit von Schönheit und die Unberechenbarkeit der menschlichen Gefühle auf.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.