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Allgemeines Gebet

Von

Herr und Vater aller Wesen, aller Himmel, aller Welten,
Aller Zeiten, aller Völker! Ewiger! Herr Zebaoth!
Die Verehrung schwacher Menschen kann dein Wohlthun nicht vergelten,
Gott, dem alle Götter weichen! Unaussprechlich-großer Gott!

Weise, Heilige, Barbaren fühlen, denken und bekennen
Dich, du Ursprung aller Dinge! Unerforschter Geist der Kraft!
Mein Verständniß ist begrenzet: nur dich groß und gut zu nennen,
Und mich selber blind zu wissen, das ist meine Wissenschaft.

Doch, in diesem dunklen Stande meiner Sinnen und Gedanken,
Gabst du mir zu unterscheiden, was hier gut und übel sei.
Stellte gleich der Arm der Allmacht der Natur gemess′ne Schranken,
Ließ dennoch das freiste Wesen, Willen und Gewissen frei.

Lehre mich das Gute lieben, lehre mich das Böse hassen,
Aus dem allerreinsten Triebe dem Gewissen folgsam sein;
Wenn es dies zu thun befiehlet, oder das zu unterlassen,
Dies mehr als den Himmel suchen, das mehr als die Hölle scheun.

Laß mich auf den Segen achten, den wir nur von dir erlangen,
Auf die Milde deines Reichthums, auf der Gaben Ueberfluß.
Ihm, dem Geber, wird vergolten, wenn wir Menschen recht empfangen:
Der Gehorsam, den Er heischet, ist ein fröhlicher Genuß.

Laß mich aber deine Güte nicht an unsern Erdkreis binden:
Herr, sei mir ein Gott der Menschen; doch der Menschen nicht allein!
Andre Körper und Geschöpfe müssen deine Huld empfinden,
Und, in mehr als tausend Welten, Spiegel deiner Größe sein.

Nimmer werden meine Hände, bei der Schwäche, so verwegen,
Mit den Waffen deines Eifers, deinen Keilen, umzugehn,
Und mit donnerndem Verdammen Land und Volk zu widerlegen,
Die, nach meiner blöden Einsicht, deiner Wahrheit widerstehn!

Bin ich auf dem rechten Wege; so verleihe deine Gnade,
Diesen Weg nicht zu verlassen, da mein Fortgang dir gefällt.
Irr′ ich, als ein Kind des Irrthums; ach! so bringe mich zum Pfade,
Wo die Füße seltner straucheln, und dein Licht die Bahn erhellt.

Schütze mich vor eitelm Stolze, der sich bei dem Gut erhebet,
Das dem sterblichen Besitzer deine Milde nur geliehn:
Auch vor rohem Mißvergnügen, das umsonst nach Dingen strebet,
Die ihm deine Macht und Weisheit theils versagen, theils entziehn.

Bilde selbst mein Herz, o Vater! daß es sich zum Mitleid neige,
Und um andrer Wunden blute, Fehler decke, die es schaut;
Würdige mich des Erbarmens, das ich fremder Noth erzeige,
Froh im Ausfluß des Vermögens, das mein Gott mir anvertraut.

Zwar bin ich gering und nichtig; doch wird der gering erfunden,
Den dein Odem selbst beseelet, Herr der Jahre, Tag′ und Zeit?
Ordne du, an diesem Tage, meine Wege, meine Stunden,
Wie du willst, zu weiterm Leben, oder auch zur Ewigkeit.

Ich erbitte mir, auf heute, sonst kein Theil, als Brod und Frieden,
Aus der andern Güter Menge wähle nie mein eigner Wahn!
Ob sie recht vertheilet worden, sei von dir allein entschieden.
Nur dein Will′, o Herr, geschehe! Was du thust, ist wohl gethan.

Dich, dem aller Welten Kreise, aller Raum zum Tempel dienen,
Dich besingen alle Wesen, ewig mit vereintem Chor!
Und von Erde, Meer und Lüften, als von deines Altars Bühnen,
Schwinge sich zu dir der Weihrauch opfernder Natur empor.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Allgemeines Gebet von Friedrich von Hagedorn

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Allgemeines Gebet“ von Friedrich von Hagedorn ist ein tiefgründiger Lobpreis und eine Bitte an Gott, der sich durch eine umfassende Ehrfurcht vor der göttlichen Macht auszeichnet. Das Gedicht ist in 14 Strophen unterteilt, wobei jede Strophe eine neue Facette der Beziehung des lyrischen Ichs zu Gott beleuchtet. Es beginnt mit einem universalen Appell, der Gottes Macht über alle Wesen und Zeiten anerkennt, und entwickelt sich zu einer persönlichen Bitte um Führung, Weisheit und Mitgefühl.

Die zentralen Themen des Gedichts sind die Demut des Menschen angesichts der göttlichen Größe, die Suche nach moralischer Führung und die Bitte um Gnade und Frieden. Das lyrische Ich, sich seiner eigenen Unvollkommenheit bewusst, erkennt die Grenzen seines Verstandes an und bekennt sich zum Glauben. Es fleht um die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden, und bittet um die Kraft, dem Gewissen zu folgen. Die Betonung des Gehorsams gegenüber Gottes Willen als „fröhlicher Genuss“ verdeutlicht ein positives Gottesbild, das Liebe und nicht Furcht in den Vordergrund stellt. Hagedorn wünscht sich, Gottes Gnade nicht nur für sich selbst, sondern für alle Menschen und sogar für alle Geschöpfe zu erfahren, was die Universalität seines Gebets unterstreicht.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gedichts ist die Ablehnung von Stolz und die Abkehr von selbstgerechter Verurteilung. Das lyrische Ich bittet Gott, es vor Stolz zu bewahren und gleichzeitig vor ungerechtfertigtem Missmut, der aus unerfüllten Wünschen resultiert. Es wünscht sich ein mitfühlendes Herz, das bereit ist, die Fehler anderer zu vergeben und im Geiste der Nächstenliebe zu handeln. Dieser Appell an das Mitleid zeigt eine tiefe Wertschätzung der menschlichen Beziehungen und ein Streben nach moralischer Vervollkommnung. Das Gedicht endet mit der Unterwerfung unter den Willen Gottes und der Bitte um Frieden, die die Akzeptanz des Schicksals und die Hingabe an die göttliche Vorsehung zum Ausdruck bringt.

Die Sprache des Gedichts ist erhaben und feierlich, passend zur Thematik. Der Reim, der durchgehend verwendet wird, erzeugt einen melodischen Fluss, der die meditative Qualität des Gebets unterstreicht. Die Verwendung von archaischen Ausdrücken und eine bildreiche Sprache, wie z.B. die Metapher des „Weihrauchs opfernder Natur“, verstärken den feierlichen Charakter und die Ehrfurcht vor dem Göttlichen. Hagedorn nutzt die konventionellen Formen des Gebets, um eine tiefgründige Botschaft von Demut, moralischer Integrität und der Suche nach Frieden zu vermitteln, die über die Grenzen des Individuums hinausgeht und eine universelle Gültigkeit beansprucht. Das Gedicht ist somit nicht nur ein persönliches Gebet, sondern auch eine Reflexion über die Beziehung zwischen Mensch und Gott.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.