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Aller-Seelen-Nacht

Von

Der Tag verglomm mit blassem gelbem Streife;
Einsam war ich zum Thor hinausgegangen
Auf Pfaden, weiß vom ersten Winterreife.

Und wie um mich in des Novembers Schauer
Die letzten welken Blätter niederstoben,
Verhüllte meine Seele sich in Trauer.

Der Lieben all, die ich verloren hatte,
Dacht′ ich und hub, versunken in Erinnrung,
Von jedes Grabe noch einmal die Platte.

So, nicht der Stunden achtend, wie sie schwanden,
War ich verirrt zu einem Platz gekommen,
Auf welchem nie zuvor mein Fuß gestanden.

Um mich erglänzten bleich im Mondesstrahle,
Mit frischem Kranze jedes Kreuz umwunden,
Reihn hinter Reihen, ernste Totenmale.

Gesang ertönte aus der Grabkapelle,
Die in der Mitte stand, und durch die Fenster
Glomm vom Altar der Lichter matte Helle.

Langsam herab vom Turm erklang Geläute;
Zwölf Schläge that die Uhr, und bangen Herzens
Sagt′ ich mir: Aller-Seelen-Nacht ist heute.

Da, wenn vom Turme Mitternacht erschollen,
Sieht, wer auf einen Friedhof sich verirrte,
Die Teuren, die ihn bald verlassen wollen.

Und schon im bleichen Mondstrahl drei Gestalten
Gewahrt′ ich auch, die längs der Grabdenkmale
Im Feiergange zur Kapelle wallten.

Zur Seite wollt′ ich weichen, angstbeklommen;
Doch mußte festgebannt am Wege stehen
Und sah sie näher, immer näher kommen.

Der Vordern glühten jugendlich die Wangen,
So wie in Bajäs Bucht die Meereswellen,
Wenn sie im Rosenlicht des Ostens prangen.

Sie war es, die mir leicht jedwede Mühe
Und jeden Kampf gemacht und jedes Wagen
In meines Lebens goldner Morgenfrühe.

Sie schritt mit mir im Lenz durch grüne Auen
Und ließ, wenn schwer des Herbstes Nebel wallten,
Mich schon des neuen Frühlings Sonne schauen.

Als Spiel hat mir durch sie Gefahr gegolten,
Und lächelnd blickt′ ich auf die Wetterwolken
Des Schicksals, die zu meinen Füßen grollten.

Ich rang, berauscht von ihrem Atemzuge,
Mich aus dem niedern Staub empor und folgte
Dem Adler nach auf seinem kühnsten Fluge.

Und nun, du schönster Gast beim Lebensfeste,
Rief ich, o Jugend, willst du mich verlassen,
Und nimmst vom Dasein mit dir fort das Beste?

Doch achtlos sah ich sie von dannen schreiten;
Drauf, wehmutsvoll ihr nachschau′nd, hört′ ich Töne,
Wie Windeshauch durch Aeolsharfensaiten.

Und zu mir trat mit rückgeschlagnem Schleier,
Das dunkle Auge von Begeistrung glühend,
Die zweite, in der Rechten eine Leier.

Auch du, Gespielin meiner Knabenjahre,
Rief ich, des Jünglings Lehrerin und Freundin,
Willst fliehn? O, was bleibt dann mir als die Bahre?

Nie mehr die heil′ge Flamme willst du zünden
Auf dem Altare meines Herzens? nie mehr
Durch meine Lippen Seherworte künden?

Nie ferner zu der Vorwelt grauen Tagen
Und über Raum und Zeit hinweg die Seele
Mir zu der fernen Zukunft Wunder tragen?

Soll ohne Sinn fortan der Sterne Reigen,
Der ewige, zu meinen Häupten kreisen
Und die Natur, zu Stein erstarrt, mir schweigen?

Wenn du mich fliehst, und früher Herbstreif schnöde
Verwelken läßt den Frühling meiner Seele,
Was bleibt mir in des Lebens Winteröde? –

Sie schritt zur Grabkapelle fort! Mir hingen
In dunkler Trauer lang an ihr die Blicke,
Und fern hört′ ich ihr Saitenspiel verklingen.

Die dritte kam, von mildem Glanz umwoben;
Ein Hauch des Lenzes schien um sie zu wehen,
Vor dem die kalten Nebel rings zerstoben.

Mit tiefen, seelenvollen Augen schaute
Sie lang mich an; mir war, als ob in ihnen
Der ganze wolkenlose Himmel blaute.

Und du auch, sprach ich, willst mir treulos werden,
Du Hüterin an der geweihten Quelle,
Draus alles fließt, was göttlich ist auf Erden?

Dich in der Seele ahnungsvoller Stille
Früh fühlt′ ich, wie des Morgens Nahn die Rose
Schon fühlt, eh sie noch brach die Knospenhülle.

Und als du kamst, als du die Engelholde
Mir in den Arm geführt, wie glomm und strahlte
Um mich das Leben auf im Morgengolde!

Wie senkte sich auf uns in Duft und Blüten
Ein Lenz, der nicht von dieser Welt, hernieder,
Als ihre Lippen an den meinen glühten!

Und ist mit seinen ersten Wonnestunden
Mit seinen Rosen, seinen Nachtigallen
Auch jener Mai der Liebe hingeschwunden,

So weich′ doch du nicht, Fürstin meines Lebens!
Schon wenn ich′s denke, zittert durch die Seele
Mir Todesahnung schauervollen Bebens.

Ich sprach′s; mir war, als ob sie, mein nicht achtend,
Von dannen schreite; da sank tiefes Dunkel
Auf meine Augen, finster mich umnachtend.

Besinnungslos lang lag ich; als das matte
Auglid ich wieder hob, fand ich am Boden
Mich hingestreckt auf eine Grabesplatte.

Erblaßt im Kirchlein war der Kerzen Schimmer;
Doch die Gestalt, die ich geschieden wähnte,
Stand, wie zuvor, zur Seite mir noch immer.

Nein, nicht dieselbe sah ich mehr; ihr Schatten
Nur war′s gewesen, welchen meine Blicke,
Ich ahnt′ es wohl, zuvor gesehen hatten.

Sie glich an Hoheit und an Himmelsmilde
Dem Urbild aller Göttinnen und Frauen,
Dem ewigen, auf des Urbiners Bilde.

Ins Antlitz schaut′ ich bange nur der Hehren,
Und mehr und mehr sah, als ich aufwärts blickte,
Ich sie zu Himmelsglorie sich verklären.

Sie sprach: »Nicht jene, die im Sinnentriebe
Die Adern klopfen läßt, die Herzen schlagen,
Ich bin die ewige, die reine Liebe.

»Wem meinen Lebensodem in die Seele
Ich hauche, überreich mag er sich preisen:
Und ob auch alles andere ihm fehle,

»Die Menschheit lehr′ ich an die Brust ihn drücken,
In Liebe alles Lebende umfassen
Und selber so beglückt sein im Beglücken.

»Drum zage nicht, wenn in dem wüsten Treiben
Der Welt du einsam dastehst und verlassen!
Ich will dir bis zum Schluß der Zeiten bleiben.«

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Gedicht: Aller-Seelen-Nacht von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Aller-Seelen-Nacht“ von Adolf Friedrich Graf von Schack ist eine tiefgründige Reflexion über Verlust, Vergänglichkeit und die Suche nach dem ewigen Wesen der Liebe.

Das Gedicht beginnt mit einer melancholischen Beschreibung der Allerseelen-Nacht, in der der Erzähler einsam auf einem Friedhof wandelt und der verlorenen Lieben gedenkt. Die Atmosphäre ist geprägt von Trauer, Kälte und dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit. Der Protagonist begegnet dann drei Gestalten, die in ihrer Erscheinung verschiedene Aspekte der menschlichen Existenz verkörpern. Die erste Gestalt, die Jugend, erinnert an die Unbeschwertheit und die intensiven Erfahrungen der Vergangenheit. Die zweite Gestalt, die Dichtkunst oder die Inspiration, repräsentiert die kreative Energie und die Fähigkeit, über die Grenzen der Realität hinauszublichen. Beide Gestalten scheinen jedoch den Erzähler zu verlassen, was eine tiefe Leere und Verzweiflung auslöst.

Der Höhepunkt des Gedichts ist die Begegnung mit der dritten Gestalt, der ewigen Liebe. Diese Gestalt verkörpert eine transzendente, unsterbliche Liebe, die nicht an die Vergänglichkeit der menschlichen Erfahrung gebunden ist. Sie tröstet den Erzähler und verspricht, ihm in allen Lebenslagen treu zur Seite zu stehen. Diese Figur stellt eine hoffnungsvolle Perspektive dar, die den Verlust und die Vergänglichkeit der Welt überwindet und auf eine ewige, reine Liebe verweist, die Trost und Sinn im Leben gibt.

Die Struktur des Gedichts spiegelt die Entwicklung der Gefühle des Erzählers wider. Die anfängliche Melancholie wandelt sich über Verzweiflung und Angst zu einer tieferen Erkenntnis und Hoffnung. Die Sprache ist reich an Bildern und Symbolen, die die Atmosphäre der Trauer und des Abschieds erzeugen. Die Verwendung des Friedhofs als Schauplatz und die wiederkehrenden Motive von Licht und Dunkelheit verstärken die theologische Bedeutung des Gedichts, das sich in einem katholischen Kontext bewegt. Der Autor thematisiert hier eine tiefe Sehnsucht nach Unsterblichkeit und Ewigkeit, die in der menschlichen Seele wohnt.

Insgesamt ist „Aller-Seelen-Nacht“ ein komplexes und vielschichtiges Gedicht, das durch seine eindringliche Sprache und seine tiefgründige Thematik berührt. Es lädt den Leser ein, über die Natur von Verlust, Liebe und dem Sinn des Lebens nachzudenken. Die Transformation des Erzählers, vom trauernden Beobachter zum Träger einer Botschaft der Hoffnung, unterstreicht die zentrale Bedeutung der ewigen Liebe als Quelle von Trost und Erneuerung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.