Alltag, Angst, Einsamkeit, Fleiß, Freiheit & Sehnsucht, Frühling, Götter, Helden & Prinzessinnen, Herzschmerz, Leichtigkeit, Liebe & Romantik, Sagen, Unschuld
Abendphantasie
Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt
Der Pflüger; dem Genügsamen raucht sein Herd.
Gastfreundlich tönt dem Wandrer im
Friedlichen Dorfe die Abendglocke.
Wohl kehren itzt die Schiffer zum Hafen auch,
In fernen Städten fröhlich verrauscht des Markts
Geschäftger Lärm; in stiller Laube
Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.
Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen
Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh und Ruh
Ist alles freudig; warum schläft denn
Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?
Am Abendhimmel blüht ein Frühling auf;
Unzählig blühn die Rosen, und ruhig scheint
Die goldene Welt; o dorthin nimmt mich,
Purpurne Wolken! und möge droben
In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb und Leid! –
Doch, wie verscheucht von töriger Bitte, flieht
Der Zauber; dunkel wirds, und einsam
Unter dem Himmel, wie immer, bin ich. –
Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt
Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,
Du ruhelose, träumerische!
Friedlich und heiter ist dann das Alter.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Abendphantasie“ von Friedrich Hölderlin zeichnet ein Stimmungsbild des Abends, das vom friedlichen Alltag kontrastiert wird, in dem sich der Dichter nach Ruhe und Auflösung sehnt. Es beginnt mit einer Beschreibung der Idylle: Der Pflüger, die Schiffer, die fröhliche Gesellschaft. Diese Bilder stehen für ein erfülltes, geordnetes Leben, das durch Arbeit, Geselligkeit und Geborgenheit geprägt ist. Der sanfte Klang der Abendglocke, die rauchende Herd, das gesellige Mahl – all das vermittelt ein Gefühl von Harmonie und Zufriedenheit, das dem Dichter unerreichbar scheint.
Der zweite Teil des Gedichts zeigt die innere Zerrissenheit des Dichters. Während andere ihren Platz im Kreislauf des Lebens finden, fragt er sich, wohin er gehört. Sein Herz ist unruhig, ein „Stachel“ sticht in seiner Brust, und er kann sich nicht mit der gewöhnlichen Welt identifizieren. Die Sehnsucht nach dem Abendhimmel, den „purpurnen Wolken“, die Blüte des Frühlings, deutet auf eine Sehnsucht nach einer anderen, transzendenten Erfahrung hin. Er wünscht sich, dass seine „Lieb und Leid“ in Licht und Luft zerrinnen, was auf den Wunsch nach einer Auflösung des irdischen Daseins hindeutet.
Die dritte Strophe konfrontiert den Dichter mit der Realität seiner Sehnsucht. Der „Zauber“ flieht, die Traumwelt zerbricht, und er steht allein unter dem dunklen Himmel. Diese Ernüchterung zeigt die Unmöglichkeit, seinen Wunsch nach Auflösung unmittelbar zu realisieren. Die letzte Zeile des Gedichts betont seine Einsamkeit und die Enttäuschung über die Unerreichbarkeit der ersehnten Ruhe.
In der finalen Strophe wendet sich der Dichter dem Schlaf zu, als dem einzigen Trost. Er erkennt die Unruhe der Jugend, die er als „träumerisch“ und „ruhelos“ beschreibt, und sieht im Alter die Aussicht auf Frieden und Heiterkeit. Das Gedicht endet mit einer leisen Hoffnung auf eine zukünftige Erfüllung, die in der Ruhe des Alters liegen könnte. Die Abendphantasie spiegelt somit eine tiefe Sehnsucht nach innerem Frieden wider, die durch die Diskrepanz zwischen der äußeren Harmonie und der inneren Unruhe des Dichters verstärkt wird.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.