Abendmuse
Ans Blumenfenster wieder kehrt des Kirchturms Schatten
Und Goldnes. Die heiße Stirn verglüht in Ruh und Schweigen.
Ein Brunnen fällt im Dunkel von Kastanienzweigen –
Da fühlst du: es ist gut! in schmerzlichem Ermatten.
Der Markt ist leer von Sommerfrüchten und Gewinden.
Einträchtig stimmt der Tore schwärzliches Gepränge.
In einem Garten tönen sanften Spieles Klänge,
Wo Freunde nach dem Mahle sich zusammenfinden.
Des weißen Magiers Märchen lauscht die Seele gerne.
Rund saust das Korn, das Mäher nachmittags geschnitten.
Geduldig schweigt das harte Leben in den Hütten;
Der Kühe linden Schlaf bescheint die Stallaterne.
Von Lüften trunken sinken balde ein die Lider
Und öffnen leise sich zu fremden Sternenzeichen.
Endymion taucht aus dem Dunkel alter Eichen
Und beugt sich über trauervolle Wasser nieder.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Abendmuse“ von Georg Trakl zeichnet ein melancholisches Bild des späten Nachmittags und des beginnenden Abends, geprägt von Stille, Vergänglichkeit und einer tiefen Sehnsucht nach Ruhe und Trost. Trakl verwendet eine bildreiche Sprache, die von einer spezifischen Atmosphäre der Trauer und des Abschieds getragen wird.
Die ersten Strophen etablieren die Szenerie: der Schatten des Kirchturms, das „Goldnes“ und das „Brunnen[n]“, der in „Dunkel von Kastanienzweigen“ fällt, schaffen eine idyllische, aber gleichzeitig melancholische Atmosphäre. Die „heiße Stirn“, die „in Ruh und Schweigen verglüht“, deutet auf eine Erschöpfung hin, auf das Gefühl, die Hitze des Tages hinter sich zu lassen. Der Ausruf „es ist gut! in schmerzlichem Ermatten“ spiegelt eine ambivalente Haltung wider: die Erleichterung über das Ende des Tages vermischt sich mit der Last der Erschöpfung und des Schmerzes. Die folgenden Verse beschreiben den leeren Markt und die „sanften Spieles Klänge“ aus dem Garten, in dem sich Freunde treffen. Das Bild des Marktes, leer von den Früchten und Festtagsdekorationen des Sommers, betont die Vergänglichkeit und das Ende der Lebendigkeit.
In der dritten Strophe werden die Motive der Sehnsucht und der Flucht in eine andere Welt verstärkt. Die „Seele“ lauscht den „Märchen des weißen Magiers“, was eine Hinwendung zur Fantasie und zur Suche nach Trost impliziert. Das „saust Korn, das Mäher nachmittags geschnitten“, das ruhige Leben in den Hütten, sowie der Schlaf der Kühe unter dem Schein der Stalllaterne, stellen einen Kontrast zu den emotionalen Turbulenzen des lyrischen Ichs dar. Diese Bilder evozieren eine Welt der einfachen, natürlichen Rhythmen, die dem lyrischen Ich Ferne und Ruhe bietet.
Die letzte Strophe kulminiert in einer Vision, die durch Trunkenheit und Müdigkeit ausgelöst wird. Die Augen schließen sich „zu fremden Sternenzeichen“, was einen Übergang in eine andere Bewusstseinsebene suggeriert. Die Erscheinung von Endymion, einer Gestalt aus der griechischen Mythologie, die für seinen ewigen Schlaf bekannt ist, unterstreicht das Thema der Sehnsucht nach Ruhe und dem Wunsch, der irdischen Welt zu entfliehen. Der Bezug zu den „trauervollen Wassern“ verstärkt die melancholische Stimmung und verweist auf die tiefe Traurigkeit, die in Trakls Gedichten oft spürbar ist. Das Gedicht endet somit mit einem Bild der Ergebung und des Abschieds, das die tiefe Melancholie des lyrischen Ichs widerspiegelt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.