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Abendphantasie

Von

Süßes Bild,
Schwebst mir vor mit leisem Sehnen!
Klagst mit wehmuthsvollen Thränen,
Tief in Trauerflor verhüllt.

Wonnezeit!
Ach! Umstrahlt von Frühlingsmilde,
Froh in Tempe′s Lichtgefilde,
Lebt′ ich dir, o Zärtlichkeit.

Thränen fließt!
Thauend, wie die kleine Quelle
Rieselnd, perlend, Well′ an Welle
Über Blumen sich ergießt.

Alles schweigt!
Kaum, daß in des Westes Flüstern,
Unterm Schattendach des düstern
Tannenhains, der Halm sich beugt.

Holder Traum!
Fliehe nicht auf Rosenflügeln;
Weile an des Baches Spiegeln,
Suche nicht des Aethers Raum.

Es entschwand! …
So entfloh vor Psyche′s Kusse
Amor, da mit holdem Gruße
Sie: Geliebter ihn genannt.

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Gedicht: Abendphantasie von Friederike Sophie Christiane Brun

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Abendphantasie“ von Friederike Sophie Christiane Brun entfaltet in fünf Strophen eine melancholische Betrachtung, die von Sehnsucht, Trauer und dem Verlust eines geliebten Zustands geprägt ist. Das lyrische Ich, anscheinend in einer Abendstimmung versunken, malt ein Bild von Vergangenheit, Gegenwart und dem flüchtigen Charakter der Glückseligkeit. Der wiederkehrende Refrain der Tränen, die fließen, durchzieht das gesamte Gedicht und dient als zentrales Motiv der Traurigkeit und des Abschieds.

Die erste Strophe etabliert die Grundstimmung: ein „süßes Bild“ schwebt dem lyrischen Ich vor, begleitet von „leisem Sehnen“ und „wehmuthsvollen Thränen“. Die Vergangenheit, die im zweiten Vers angedeutet wird, war von Freude und Zärtlichkeit erfüllt, was durch die Anspielung auf den Frühling und das „Tempe′s Lichtgefilde“ unterstrichen wird. Doch diese glückliche Zeit ist vorbei, was durch die Trauerflor-Verhüllung verdeutlicht wird. Die dritte Strophe verstärkt diese Trauer durch das Bild der Tränen, die wie eine Quelle fließen und sich über Blumen ergießen, was die Allgegenwart und Natürlichkeit des Schmerzes symbolisiert.

Die vierte Strophe führt eine Szene der Stille ein, in der alles schweigt, bis auf das Flüstern des Westens, das den Halm im düstern Tannenhain beugt. Diese Stille unterstreicht die Einsamkeit und die innere Leere des lyrischen Ichs. Die fünfte Strophe wird zu einem Flehen an einen „holder Traum“, nicht auf Rosenflügeln zu fliehen, sondern an den Spiegeln des Baches zu verweilen. Die Metapher des Traums steht hier für die Erinnerung an das verlorene Glück, das sich dem lyrischen Ich entzieht.

Die letzte Strophe des Gedichts, in der das lyrische Ich feststellt, dass das, was es zu halten suchte, endgültig entschwunden ist, verdeutlicht die Tragik des Ganzen. Die Anspielung auf Amor und Psyche, die durch Psyches Kuss Amors Verschwinden erlebten, ist eine Anspielung auf eine romantische Tragödie und unterstreicht den Verlust des Geliebten. Damit stellt Brun das Vergängliche und die Unmöglichkeit, das Glück festzuhalten, in den Mittelpunkt ihres Gedichts, indem sie die Abendstimmung als Bühne für das In-Szene-Setzen von Verlust und Sehnsucht nutzt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.