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Franziskas Abendlied

Von

Weiß die Mutter doch so gut,
Wann die Apfel reifen,
Und ihr eigen Fleisch und Blut
Will sie nicht begreifen!

Wenn ich nicht so trostlos wär,
Ging′s mir wohl um Treue;
Kommt das Glück von ungefähr.
Folgt ihm keine Reue.

Seht euch nur dies Leben an,
Hühner, Enten, Gänse –
Drüben schwingt der Schnittersmann
Schon die blanke Sense.

Baut ich auf den lieben Gott,
Baut auf meine Karten,
Ward bei beiden mir zum Spott,
Lernte fleißig warten!

Zwanzig Sommer sind vorbei,
Armes, kurzes Leben –
Hast nun einen süßen Mai
Heimlich doch gegeben!

Ist die Nacht nicht gar so still,
Stiller wird′s am Tage;
Weiß man einmal, was man will,
Scheut man keine Plage.

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Gedicht: Franziskas Abendlied von Frank Wedekind

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Franziskas Abendlied“ von Frank Wedekind ist eine tiefgründige Betrachtung über das Leben, die Liebe und die eigene Identität aus der Perspektive einer jungen Frau namens Franziska. Es offenbart eine melancholische, aber auch trotzige Haltung gegenüber den Widrigkeiten des Lebens und der gesellschaftlichen Erwartungen. Der Titel „Abendlied“ deutet auf einen Moment der Reflexion am Ende des Tages hin, in dem Franziska Bilanz zieht und ihre Gefühle zum Ausdruck bringt.

Die ersten Strophen des Gedichts sind von einer gewissen Enttäuschung und einem Bruch mit den Erwartungen geprägt. Franziska hinterfragt die vermeintliche Weisheit der Mutter und die gängigen Moralvorstellungen. Die Metapher der reifenden Äpfel, die von der Mutter erkannt werden, steht im Kontrast zu Franziskas eigener Unfähigkeit, ihr „eigen Fleisch und Blut“ zu verstehen. Die Zeilen implizieren ein Gefühl der Isolation und des Unverständnisses innerhalb der Familie und Gesellschaft. Zudem wird die Idee von Treue und Glück angesprochen, wobei die Zeile „Kommt das Glück von ungefähr. Folgt ihm keine Reue“ eine gewisse Unbekümmertheit und ein Festhalten an spontanen Freuden suggeriert.

Die dritte Strophe führt eine dunklere Metapher ein, indem sie das Leben mit den Tieren auf dem Bauernhof vergleicht, während der Schnitter die Sense schwingt. Dieses Bild des Todes und des Endes verleiht dem Gedicht eine pessimistische Note und verdeutlicht die Vergänglichkeit des Lebens. Franziskas Hoffnungslosigkeit wird durch die Zeilen verstärkt, in denen sie ihre Enttäuschung über Gott und ihre eigenen Hoffnungen zum Ausdruck bringt. Die Zeile „Ward bei beiden mir zum Spott, / Lernte fleißig warten!“ deutet auf gescheiterte Erwartungen und die Notwendigkeit, geduldig zu sein, aber auch auf eine innere Leere hin.

In den letzten beiden Strophen findet eine subtile Wendung statt. Trotz der vergangenen zwanzig Sommer und des „kurzen Lebens“ entdeckt Franziska eine heimliche Freude, einen „süßen Mai“, der ihr geschenkt wurde. Die Zeile „Ist die Nacht nicht gar so still, / Stiller wird’s am Tage“ könnte eine Metapher für die innere Suche nach Frieden und Klarheit sein. Franziska erkennt, dass sie, wenn sie erst weiß, was sie will, keine Mühen scheuen wird. Dies signalisiert eine gewisse Entschlossenheit und die Bereitschaft, ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte zu verfolgen, ungeachtet der Widrigkeiten und des äußeren Drucks. Das Gedicht endet mit einer Mischung aus Melancholie und neu gewonnener Stärke, was Franziskas Charakter facettenreich und menschlich macht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.