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Am Birkenbaum

Von

1.

Der junge Jäger am Waldrand saß,
Am Waldrand auf der Haar.
Wie Blut schon die Blätter, gebleicht das Gras,
Doch der Himmel sonnig und klar.
Er sprach: die Bracken zieh′n sich zur Möhne!
Vergebens mich auf den Fuchs gefreut!
Fern, immer ferner des Hornes Töne –
Kein Schuß mehr fällt auf dem Brandholz heut!

Ob ich nach nur schlend′re? Den Teufel auch!
Ich lob′ mir im Sonnenschein
Das Eckchen hier am Wacholderstrauch
Und den grauen, mosigen Stein!
Drauf streck′ ich mich aus, den nehm′ ich zum Polster,
An die Buche lehn′ ich mein Doppelgewehr!
Und nun aus dem Dichterwinkel der Holster,
Mein Jagdgenosse, mein Byron, komm her! –

Und er nimmt seinen Weidsack, und langt sie herfür,
Die ihn öfters begleitete schon,
Die höchst unwürd′ge auf Löschpapier,
Die Zwickauer Edition.
Den Mazeppa hat er sich aufgeschlagen:
Muß sehn, ob ich′s deutsch nur reimen kann!
Mögen immer die andern lachen und sagen:
Ha, ha, der lateinische Jägersmann!

Er liest – er sinnt – nun schreibt er sich′s auf;
Nun scheint er so recht im Fluß –
Da nimmt er vor Freuden den Doppellauf,
Und tut in die Luft einen Schuß.
So hat er es lange Stunden getrieben,
Ein närrischer Kauz, ein Stück Poet,
Bis ihm, mit Bleistift flott geschrieben,
Ein saub′rer Anfang im Taschenbuch steht.

Er reibt sich die Hände: – Und nun nach Haus!
Zwei Stunden noch hab′ ich zu gehn;
Nur ein einzig Mal noch hinab und hinaus
In die Ebene will ich spähn;
Will mir Schimmer und Duft in die Seele saugen,
Daß sie Freude noch und zu zehren hat,
Wenn mir wieder die fernedurstigen Augen
Auf Wochen einengt die graue Stadt.

Da liegt sie finster mit Türmen und Wall,
Die mich lehren soll den Erwerb,
Die mich grämlich sperrt in der Prosa Stall,
Und Dichten heißt Zeitverderb!
Wenn ich manchmal nicht auf den Rappen müßte,
Hätt′ ich manchmal nicht einen Jagdtag frei,
Einen Tag, wie heut′ – Schwerenot, ich wüßte
Keinen Rat meiner heimlichen Reimerei!

Da liegt sie – herbstlicher Duft ihr Kleid –
In der Abendsonne Brand!
Und hinter ihr, endlos, meilenweit,
Das leuchtende Münsterland!
Ein Blitz, wie Silber – das ist die Lippe!
Links hier des Hellwegs goldene Au!
Und dort zur Rechten, über′m Gestrüppe,
Das ist meines Osnings dämmerndes Blau!

Eine Fläche das! So, denk′ ich mir, war
Die Flur, die Mazeppa durchsprengt!
Oder jene, drauf der russische Zar
Den schwedischen Karl gedrängt!
Zwar – milder und üppiger ist die Börde,
Doch wir haben auch Heidegrund und Moor
Und wilden Busch auf der roten Erde –
Ob auch hier schon wer eine Schlacht verlor?

– So denkt er, und hat es laut wohl gesagt;
Da tritt ein Mann auf ihn zu:
Ein Bauer – und wenn ihr mehr noch fragt:
Der Hüter einer Kuh.
Die langen Glieder umhüllt ein schlichter
Leinrock, das bläuliche Auge sticht,
Die Lippe zuckt – so tritt er zum Dichter,
So lächelt er seltsamlich und spricht:
2.

Guten Abend, Herr! Ob man Schlachten schlug
In der Ebene dort – fürwahr,
Ich hab′s nicht erfahren! Lest nach im Buch!
Mich kümmert wenig, was war!
Ich schaue nur aus nach den künftigen Tagen –
So spricht vom Haarstrang der alte Hirt:
Eine Schlacht wohl sah ich dort unten schlagen,
Doch eine, die man erst schlagen wird!

Ich habe sie dreimal mit angesehn!
O, öd′ ist die Haar bei Nacht!
Ich aber muß auf vom Bette stehn –
Dann hat es mich hergebracht!
Just, Herr, wo ihr steht – just hier auf den Felsen,
Da hat es mich Sträubenden hingestellt!
Und hätt′ ich gewandt mich mit hundert Hälsen,
Doch hätt′ ich hinabschau′n müssen ins Feld!

Und ich sah hinab und ich sah genau –
Da schwammen die Äcker in Blut,
Da hing′s an den Ähren, wie roter Tau,
Und der Himmel war eine Glut!
Um die Höfe sah ich die Flamme wehen,
Und die Dörfer brannten wie dürres Gras:
Es war, als hätt′ ich die Welt gesehen
Durch Höhrauch oder durch farbig Glas!

Und zwei Heere, zahllos wie Blätter im Busch,
Hieben wild aufeinander ein;
Das eine, mit hellem Trompetentusch,
Zog heran in der Richtung vom Rhein.
Das waren die Völker des Westens, die Freien!
Bis zum Haarweg scholl ihrer Pferde Gewieh′r,
Und voraus flog ihren unendlichen Reihen
Im Rauche des Pulvers ein rot Panier!

Rot, rot, rot! das einige Rot!
Kein prunkendes Wappen drauf!
Das trieb sie hinein in den jauchzenden Tod,
Das band sie, das hielt sie zuhauf!
Das warf sie entgegen den Sklaven aus Osten,
Die, das Banner bestickt mit wildem Getier,
Unabsehbar über die Fläche tosten
Auf das dröhnende, zitternde Kampfrevier.

Und ich wußte – doch hat es mir keiner gesagt! –
Das ist die letzte Schlacht,
Die der Osten gegen den Westen wagt
Um den Sieg und um die Macht!
Das ist der Knechtschaft letztes Verenden!
Das ist, wie nie noch ein Würfel fiel,
Aus der Könige kalten, bebenden Händen,
Der letzte Wurf in dem alten Spiel!

Denn dies ist die Schlacht um den Birkenbaum! –
Und ich sah seinen weißen Stamm,
Und er stand und regte die Blätter kaum,
Denn sie waren schwer und klamm!
Waren klamm vom Blut, das der blutige Reigen
An die zitternden wild in die Höhe gespritzt;
Und so stand er mit traurig hangenden Zweigen,
Von Kartätschen und springenden Bomben umblitzt.

Auf einmal hub er zu säuseln an,
Und ein Licht flog über die Haar –
Und den Osten sah ich geworfen dann
Von des Westens drängender Schar.
Die Zäume verhängt und die Fahnen zertreten,
Und die Führer zermalmt von der Hufe Wucht,
Und im Nacken der Freiheit Gerichtstrompeten –
So von dannen jagte die rasende Flucht,

Da! zu uns auch herauf! – da – seht ihr sie nicht?
Durch den Hohlweg und über den Stein!
Da! – zum vierten Mal nun das gleiche Gesicht
Und der gleiche lodernde Schein! –
Da! – tretet beiseit, daß kein fliegender Zügel,
Daß kein sausender Dolman den Arm euch streift!
Noch des Mannes Haupt, den, hangend im Bügel,
Eben jetzt sein Pferd durch den Ginster schleift!

Da! – es stürzt! – das edelste dieser Schlacht! –
Der Geschleifte liegt tot im Farr′n!
Und über ihn weg nun die wilde Jagd,
Die Lafetten, die Pulverkarr′n! –
Wer denkt noch an den? Wer unter den Wagen
Risse den noch hervor? Was Bahre, was Sarg!
Hört, Herr – doch dürft ihr es keinem sagen! –
So stirbt in Europa der letzte Monarch!
3.

Dem jungen Jäger schwirrt′ es im Kopf
Und er tat einen langen Satz,
Und er fluchte: Vermaledeiter Tropf
Und vermaledeiter Platz!
Doch der Alte, kühl wie ein Seher eben,
Sah ihm ruhig nach von des Holzes Saum:
Ja, flucht nur, Herr Junge! Könnt′s doch noch erleben!
Seid ja siebenzehn oder achtzehn kaum!

Dann pfiff er und zog übers Stoppelfeld –
Noch hat sich das Wort nicht erfüllt!
Doch der Birkenbaum steht ungefällt,
Und zwei Lager heute zerklüften die Welt,
Und ein Hüben, ein Drüben nur gilt!
Schon gab es Geplänkel: doch dauernd schlichten
Wird ein Schlag nur, wie jener, den wachsenden Strauß –
Und dem Jäger kommen die alten Geschichten
Und er denkt: Schlüge dennoch das Volk in Gesichten
Seines nahenden Welttags Siege voraus?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Am Birkenbaum von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Am Birkenbaum“ von Ferdinand Freiligrath ist eine vielschichtige Ballade, die auf mehreren Ebenen funktioniert: als Beschreibung einer idyllischen Landschaft, als Charakterstudie des jungen Jägers und als Vision einer apokalyptischen Schlacht, die die Zukunft Europas vorhersagt. Der erste Teil des Gedichts widmet sich der Beschreibung der Natur und der Reflexionen des jungen Jägers, der sich in der Landschaft entspannt und seine literarischen Ambitionen auslebt.

Der zweite Teil, der von dem alten Hirten erzählt, ist der Kern des Gedichts. Der Hirte schildert dem Jäger eine Vision einer epischen Schlacht, die in der Ebene stattfindet, und verwendet dabei eine lebendige Bildsprache. Er beschreibt die kämpfenden Armeen, die Farben der Fahnen und die Atmosphäre des Krieges mit großer Intensität. Die Schlacht wird als ein Kampf zwischen Ost und West dargestellt, der letztlich die Freiheit des Westens sichert. Der „Birkenbaum“ wird zum Zeugen dieser Schlacht, wobei der Ort des Baumes eine besondere symbolische Bedeutung zu haben scheint. Der Hirte warnt den Jäger vor der Realität, da er die Schlacht dreimal gesehen hat und sie als unaufhaltsam und prägend für die Zukunft Europas wahrnimmt.

Der dritte Teil des Gedichts ist eine Reaktion des jungen Jägers auf die Vision des Hirten. Er ist verwirrt und verärgert, flucht über die Prophezeiung und verlässt den Ort. Der alte Hirte, der die ganze Zeit gelassen und weise wirkte, pfeift und geht seiner Wege, wohl wissend, dass der junge Mann die Tragweite der Vision noch nicht begreift. Die Schlussverse lassen die Frage offen, ob der Jäger die Prophezeiung des Hirten jemals verstehen oder ob er sich weiterhin über die Zukunft Europas im Unklaren befinden wird.

Das Gedicht spielt auf die politische Lage Europas im 19. Jahrhundert an, insbesondere auf die Konflikte zwischen den europäischen Mächten und die Ideen von Freiheit und Fortschritt. Die Schlacht zwischen Ost und West kann als eine Allegorie für die ideologischen und politischen Auseinandersetzungen dieser Zeit interpretiert werden. Freiligraths Werk ist ein eindrucksvolles Beispiel für die romantische Dichtung, die Elemente der Natur, des Mystischen und der politischen Vision miteinander verbindet. Die Verwendung von lebendigen Bildern, symbolischen Elementen und einer packenden Erzählweise macht dieses Gedicht zu einem bleibenden Zeugnis seiner Zeit.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.