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Ach nur einmal noch im Leben!

Von

Im Fenster jenes alt verblichnen Gartensaals
Die Harfe, die, vom leisen Windhauch angeregt,
Lang ausgezogne Toene traurig wechseln laesst
In ungepflegter Spaetherbst-Blumen-Einsamkeit,
Ist schoen zu hoeren einen langen Nachmittag.
Nicht voellig unwert ihrer holden Nachbarschaft
Stoehnt auf dem grauen Zwingerturm die Fahne dort,
Wenn stuermischer oft die Wolken ziehen ueberhin.

In meinem Garten aber (hiess’ er nur noch mein!)
Ging so ein Hinterpfoertchen frei ins Feld hinaus,
Abseits vom Dorf. Wie manches liebe Mal stiess ich
Den Riegel auf an der geschwaerzten Gattertuer
Und bog das ueberhaengende Gestraeuch zurueck,
Indem sie sich auf rostgen Angeln schwer gedreht! –
Die Tuer nun, musikalisch mannigfach begabt,
Fuer ihre Jahre noch ein ganz annehmlicher
Sopran (wenn sie nicht eben wetterlaunisch war),
Verriet mir eines Tages – ploetzlich, wie es schien,
Erweckt aus einer lieblichen Erinnerung –
Ein schoeneres Empfinden, hoehere Faehigkeit.
Ich oeffne sie gewohnter Weise, da beginnt
Sie zaertlich eine Arie, die mein Ohr sogleich
Bekannt ansprach. Wie? rief ich staunend: traeum ich denn?
War das nicht „Ach nur einmal noch im Leben“ ganz?
Aus Titus, wenn mir recht ist? – Alsbald liess ich sie
Die Stelle wiederholen; und ich irrte nicht!
Denn langsamer, bestimmter, seelenvoller nun
Da capo sang die Alte: „Ach nur einmal noch!“
Die fuenf, sechs ersten Noten naemlich, weiter kaum,
Hingegen war auch dieser Anfang tadellos.
– Und was, frug ich nach einer kurzen Stille sie,
Was denn noch einmal? Sprich, woher, Elegische,
Hast du das Lied? Ging etwa denn zu deiner Zeit
(Die neunziger Jahre meint ich) hier ein schoenes Kind,
Des Pfarrers Enkeltochter, sittsam aus und ein,
Und hoertest du sie durch das offne Fenster oft
Am gruenlackierten, goldbebluemten Pantalon
Hellstimmig singen? Des gestrengen Muetterchens
Gedenkst du auch, der Hausfrau, die so reinlich stets
Den Garten hielt, gleichwie sie selber war, wann sie
Nach schwuelem Tag am Abend ihren Kohl begoss,
Derweil der Pfarrherr ein paar Freunden aus der Stadt,
Die eben weggegangen, das Geleite gab;
Er hatte sie bewirtet in der Laube dort,
Ein lieber Mann, redseliger Weitschweifigkeit.
Vorbei ist nun das alles und kehrt nimmer so!
Wir Juengern heutzutage treibens ungefaehr
Zwar gleichermassen, wackre Leute ebenfalls;
Doch besser duenkt ja allen was vergangen ist.
Es kommt die Zeit, da werden wir auch ferne weg
Gezogen sein, den Garten lassend und das Haus.
Dann wuenschest du naechst jenen Alten uns zurueck,
Und schmueckt vielleicht ein treues Herz vom Dorf einmal,
Mein denkend und der Meinen, im Voruebergehn
Dein morsches Holz mit hellem Ackerblumenkranz.

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Gedicht: Ach nur einmal noch im Leben! von Eduard Mörike

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ach nur einmal noch im Leben!“ von Eduard Mörike ist eine melancholische Reflexion über die Vergänglichkeit der Zeit, die Erinnerung und die Sehnsucht nach der Vergangenheit. Das Gedicht nimmt seinen Ausgangspunkt in der zufälligen Begegnung des lyrischen Ichs mit der Melodie „Ach nur einmal noch im Leben“ aus Mozarts Oper „La Clemenza di Tito“, die von der knarrenden Gartenpforte des Ichs gesungen wird. Dies löst eine Kette von Erinnerungen aus, die von der Kindheit und Jugend des Ichs handeln, und die von der Vergänglichkeit alles Irdischen erzählen.

Die knarrende Gartenpforte, die durch den Wind in Bewegung gesetzt wird, dient als ein unerwartetes Medium, das die Melodie aus der Vergangenheit wieder zum Leben erweckt. Das lyrische Ich befragt die Pforte, als ob sie eine alte Freundin wäre, nach der Quelle des Liedes, was die ganze Szene noch verstärkt. Die Pforte scheint die Melodie von einem Kind, der Pfarrerstochter, gelernt zu haben, die einst in der Gegend wohnte. Diese Szene wird zu einem Katalysator, der Erinnerungen an eine vergangene Zeit auslöst, in der das Leben einfacher, unbeschwerter und voller Freude war.

Der Mittelteil des Gedichts widmet sich der Beschreibung der Vergangenheit. Mörike evoziert lebendige Bilder des Gartens, der Pfarrersfamilie und der gemeinsamen Stunden mit Freunden. Die detailreichen Beschreibungen der Hausfrau, des Pfarrers und des Gartens lassen eine idyllische, fast schon verlorene Welt entstehen. Das lyrische Ich vergleicht die vergangene Zeit mit der Gegenwart, stellt fest, dass alles, was einst war, nun vorbei ist, und dass sich die Menschen heute ebenso verhalten, aber die Nostalgie nach dem Vergangenen überwiegt.

Das Gedicht endet mit einer Betrachtung über die Zukunft. Das Ich und seine Angehörigen werden eines Tages den Garten verlassen und sterben. Es ist das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit, das die Reflexion über das Vergangene noch verstärkt. Die Hoffnung, dass ein treues Herz aus dem Dorf irgendwann an die Vergangenheit zurückdenkt und die Gartenpforte mit Blumen schmückt, ist ein Zeichen von Hoffnung und der Sehnsucht nach einer bleibenden Erinnerung.

Insgesamt ist „Ach nur einmal noch im Leben!“ ein ergreifendes Gedicht, das die Themen Erinnerung, Verlust, Vergänglichkeit und die Sehnsucht nach der Vergangenheit meisterhaft miteinander verbindet. Mörike verwendet eine einfache, aber eindringliche Sprache, um eine atmosphärische Stimmung zu erzeugen, die den Leser in die Welt der Erinnerungen des lyrischen Ichs eintauchen lässt. Die knarrende Gartenpforte wird so zum Symbol für die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart und für die Unvermeidlichkeit des Wandels.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.