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Das begrabene Herz

Von

Mich denkt es eines alten Traums.
Es war in meiner dumpfen Zeit,
Da junge Wildheit in mir gor.
Bekümmert war die Mutter oft.
Da kam einmal ein schlimmer Brief
– Was er enthielt, erriet ich nie –
Die Mutter fuhr sich mit der Hand
Zum Herzen, fast als stürb es ihr.
Die Nacht darauf hatt ich den Traum:
Die Mutter sah verstohlen ich
Nach unserm Tannenwinkel gehn,
Den Spaten in der zarten Hand,
Sie grub ein Grab und legt′ ein Herz
Hinunter sacht. Sie ebnete
Die Erde dann und schlich davon.

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Gedicht: Das begrabene Herz von Conrad Ferdinand Meyer

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das begrabene Herz“ von Conrad Ferdinand Meyer erzählt von einem eindringlichen Traum, der eine tiefe emotionale Erfahrung des lyrischen Ichs widerspiegelt. Der Traum, der als Rückblick in die „dumpfe Zeit“ der Jugend erscheint, enthüllt eine Beziehung zwischen Mutter und Sohn, die von Sorge und unausgesprochenen Geheimnissen geprägt ist. Die Erwähnung der „jungen Wildheit“ des Sohnes deutet auf eine Zeit der Rebellion und Unruhe hin, in der das lyrische Ich seine Mutter oftmals bekümmerte.

Der Kern des Gedichts ist die traumhafte Szene, die durch einen „schlimmen Brief“ ausgelöst wird, dessen Inhalt dem Leser vorenthalten bleibt. Dieser Brief scheint eine entscheidende Wendung im Leben der Familie zu markieren und löst eine heftige Reaktion der Mutter aus, die sich mit der Hand zum Herzen fasst, „fast als stürb es ihr“. Diese Geste der Verzweiflung und des Schmerzes bereitet den eigentlichen Traum vor, in dem die Mutter heimlich ein Grab aushebt und ein Herz darin vergräbt.

Die symbolische Bedeutung des begrabenen Herzens ist vielschichtig. Es könnte für das verletzte Herz der Mutter stehen, das durch den Inhalt des Briefes gebrochen wurde, oder für die tiefen Sorgen und Ängste, die sie um ihren Sohn hegt. Das Eingraben des Herzens kann als ein Akt der Verdrängung, aber auch als ein Versuch gesehen werden, den Schmerz zu bewältigen und die Vergangenheit zu begraben. Die sorgfältige Art und Weise, mit der die Mutter das Grab ebnet und sich davonschleicht, unterstreicht die Heimlichkeit und das Gewicht dieses verborgenen Rituals.

Die Verwendung von Bildern und Symbolen, insbesondere des Grabes und des Herzens, verleiht dem Gedicht eine tiefe emotionale Intensität und lässt Raum für vielfältige Interpretationen. Das Gedicht handelt von unausgesprochenen Gefühlen, Schuld und dem Versuch, mit verborgenen Traumata umzugehen. Die offene Natur des Briefes und die geheimnisvolle Handlung der Mutter laden den Leser ein, über die Ursachen des Leids und die Bedeutung der erlebten Ereignisse nachzudenken und wecken eine tiefe Anteilnahme an der menschlichen Tragödie, die sich hinter den Zeilen verbirgt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.